Das Wort liwāṭ kommt im Qurʾān nicht vor, noch wird ʿamal qaum Lūṭ in ihm definiert oder dafür eine Strafe festgelegt – wie dies etwa für zinā (XXIV 2–9), für sariqa (V 30) und für muḥāraba (V 33) der Fall ist. Und doch wird der Terminus liwāṭ, dessen Verbot, teilweise sogar die Ahndungsart, auf den Qurʾān zurückgeführt.
Sure IV, Vers 16.[4x]
Die ersten Abschnitte der 4. Sure (Die Frauen) enthalten viele (Rechts-)Vorschriften, über die Erbteile, die Treuhänderschaft von Waisenvermögen, über Ehehinderungsgründe, richtiges eheliches Verhalten, über die Morgengabe, Trunkenheit, über rituelle Reinheit beim Gebet, sowie (in den Versen 15,16) über das Begehen von Abscheulichem:
15 Und wenn welche von euren Frauen etwas Abscheuliches begehen, so verlangt, daß vier von euch (Männern) gegen sie zeugen! Wenn sie (tatsächlich) zeugen, dann haltet sie im Haus fest, bis der Tod sie abberuft oder Gott ihnen eine Möglichkeit schafft.
16 Und wenn zwei von euch (Männern) es begehen, dann züchtigt (?) sie (w.: tut ihnen Ungemach an) [fa-ʾāḏūhumā]! Wenn sie (daraufhin) umkehren und sich bessern, dann wendet euch von ihnen ab (und setzt ihnen nicht weiter zu)! Gott ist gnädig und barmherzig. (Übers. Paret)
Daß mit den „zwei“ (allaḏāni) ‚zwei Männer‘ gemeint sind, ist umstritten. Roberts schreibt: „… betreffs der Erklärung von Sūra [IV 16] stimmen die Kommentatoren nicht überein. Zamaḫšarī und Baiḍāwī behaupten z.B. daß es sich hier um Unzucht zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts handle, wogegen der Kommentar der Ǧalālain Sodomiterei annimmt. Letzteres scheint mir richtiger zu sein, weil a) nur Pronomina masculina vorliegen, b) sich die Geringfügigkeit der Strafe so am besten erklärt, und c) die Bestrafung der Frauen nach dem unmittelbar vorhergehenden Vers anders und zwar viel strenger ist.“.[42] Ergänzend sei vermerkt, daß sowohl Zamaḫšarī (gest. 538/1144) als Baiḍāwī (gest. 675/1276) die Auffassung, daß der Vers sich auf liwāṭ beziehe, wenigstens erwähnen – im Gegensatz etwa zu Ṭabarī (gest. 310/923). Ibn Kaṯīr (gest. 774/1373) gibt die Unklarheit des Verses unumwunden zu und zieht zur Klärung einen ḥadīṯ heran. Die Ǧalālain (Ende des 16. Jahrh. westl. Kalenders) gehen einen Schritt weiter: sie erklären den Vers für auf jeden Fall mansūḫ, beziehe er sich nun auf liwāṭ, was plausibler sei, oder auf zinā. Von den zwei neuzeit lichen ägyptischen Kommen tatoren, deren Werke ich eingesehen habe, bezieht Muḥammad Maḥmūd al-Hiǧāzī.[43] ihn auf zinā (er erwähnt die andere Auffassung) und Saiyid Quṭb (1906–1966 hingerichtet) auf liwāṭ,.[44] stellt aber fest, daß die strafrechtliche Behandlung von liwāṭ nicht auf diesem Vers fußt.
Die Lūṭ-Geschichte
Die Lūṭ-Geschichte wird im Qurʾān nicht seltener als 15 mal erwähnt (VII 80–84; IX70; XI 77–81; XV 58–77; XXI 74,75; XXII 43; XXVI 160–175; XXVII 54–59; XXIX 28–35; XXXVII 133–136; XXXVIII 13; L 13; LI 32-37; LIII 53; LIV 33–40). Doch darf aus der Wiederholung nicht geschlossen werden, daß liwāṭ dem Verkünder des Qurʾān, besonders wichtig gewesen wäre: Erstens sind Wiederholungen im Qurʾān ganz gewöhnlich. Zweitens steht für Muḥammad nicht das spezifische, konkrete (Un-)Tun der Leute im Vordergrund, sondern ihr Nicht-auf-ihren-Propheten-Hören. Die Ṣāliḥ-Ṯamūd-Geschichte kommt sogar 19 mal vor (VII 73–79; IX 70; XI 61–68; XIV 9; XV 80–84; XVII 59; XXII 42; XXV 38; XXVI 141FF; XXVII 45–53; XXIX 38; XXXVIII 13; XLI 13,17; L 12; LI 43-45; LIII 51; LIV 23–31; LXIX 4). Die Hūd-ʿĀd-Geschichte wird 16 mal erwähnt (VII 65–72; IX 70; XI 50–60; XIV 9; XXII 42; XXV 38; XXVI 123–140; XXIX 38; XXXVIII 12; XLI 13–15; XLVI 21; L 13; LI 41; LIII 50; LIV 18; LXIX 4,6; XCI 11-15), die Šuʿaib-Midianiter-Geschichte immerhin 9 mal (VII 85–93; IX 70; XI 84–95; XV 78; XXII 44; XXVI 176–184; XXIX 36,37; XXXVIII 13; L 13,14). Auch Nūḥ (ganze Sure LXXI; XI 25; XXVI 107; XLII 13 et passim), Mūsā (und Hārūn), sogar Ibrāhīm (bes. VII 83; IX 70; XXIX 16; XLIII 26) sind nicht nur Überbringer einer Offenbarung, sondern auch Warner (naḏīr), derer Botschaft jedoch auf taube Ohren stößt – bei Moses (und seinem Bruder) an Pharao und sein Volk, bei Abraham an seinen Vater und sein Volk. Interessanterweise werden bei allen alttestamentarischen Gestalten die Adressaten als qaum XY bezeichnet, z.B. XXII 42f. – „vor [den Mekkanern] haben die Leute Noahs, die ʿĀd und die Ṯamūd (ihre Gesandten) der Lüge geziehen, desgleichen die Leute Abrahams, die Leute Lots“,[45] für Moses VII 7 und II 54. Das Wesentliche liegt nicht in der Art des Vergehens, sondern im Daranfesthalten, im Mißachten der Warnung, im Überhören des Propheten. Dies wird dreimal explizit gesagt:[46]
XXXIV 34 Nie schickten wir einen Warner in eine Stadt, ohne daß diejenigen Bewohner, die ein Wohlleben führten gesagt hätten: ‚Wir glauben nicht an die Botschaft …‘
XXVIII 58 Und wie viele Städte, die sich ihres (üppigen) Lebenswandels rühmten, haben wir (zur Strafe für den Unglauben) zugrunde gehen lassen!
XXII 45 Und wie viele Städte gibt es, die wir in ihrer Frevelhaftigkeit haben zugrunde gehen lassen, so daß sie (nun) in Trümmern liegen. (nach Paret).[47]
Der Unglaube der Sodomer (wie der Mekkaner) geht so weit, daß sie Beweise verlangen:
XXIX 29 „Bring‘ uns die Strafe Gottes (die du uns androhtest) her, wenn (wirklich) du die Wahrheit sagst!“ (Paret).[48]
All diese Verse stammen aus der mekkanischen Periode;[49] in ihnen droht Muḥammad den Ungläubigen, kündigt ihnen Strafe für den Fall des Beharrens in ihrem Unglauben an, tröstet und ermutigt gleichzeitig die Gläubigen: schließlich ging es den Propheten vor Muḥammad auch nicht besser; so wird sein zeitweiliger Mißerfolg bei den Mekkanern aus einem Hinweis auf mangelnde göttliche Unterstützung zu einem Beleg der Echtheit seines gottgegebenen Auftrages. Und drittens kommt das Strafgericht über Lūṭs Volksgenossen, weil sie Frevler sind (kānū ẓālimīna XXIX 31) und weil sie gesündigt haben (kānū yafsuqūna XXIX 34). Ihr Frevel und ihre Sünde ist aber nicht nur ‚Sodomie im engeren Sinne‘ , sondern:
– sich mit Männern abgeben (statt mit Frauen);
– Wegelagerei treiben;
– in den Ratsversammlungen Verwerfliches (al-munkar) begehen (XXIX 29).[50]
Ähnlich polyvalent ein hadīṯ im Maǧmūʿ al-fiqh (vor 122/740, vgl. S. 98):
Zaid berichtete mir nach seinem Vater [ʿAlī], nach seinem Großvater [Ḥusain], nach ʿAlī; er sagte: „Ich hörte den Propheten sagen: ‚Zehnerlei ist das Tun des Volkes von Lūṭ; deshalb paßt bei ihnen auf (hütet euch davor): das Herabwachsenlassen des Schnurrbartes, das Frisieren der Haare, das Kauen von Kaugummi, das Aufknöpfen der Knöpfe, das Herabhängenlassen des Schals, das Fliegenlassen von Tauben, das Werfen von Haselnüssen, das Pfeifen, gemeinsames Trinken und gemeinsames Spielen.‘ “[51]
Bei aller Warnung vor der Überbewertung der sexuellen und juristischen Dimensionen, bei allem Nachdruck auf der Bedeutung des Verhältnisses Gott – Gesandter – Ungläubige folgt aus diesen Versen auch ein Verbot sexuellen Verkehrs unter Männlichen. Der Qurʾān ruft die Menschen jedoch nicht auf, diese Sünder zu bestrafen; vielmehr behält sich Gott die Strafe selbst vor. Besonders XI 82f. läßt sich so verstehen: Gott führt nicht nur den Untergang der sündigen Gemeinde (minus der wenigen Gerechten, die er – wie einst Noah in der Arche – rettet) herbei; er kümmert sich um den Tod jedes Einzelnen mit gezeichneten Steinen (ḥiǧāratan … musauwamatan), denen niemand entkommen kann. Dieses Motiv wird in der von Muḥammad b. Ḫāwand Šāh (Mīrḫwānd) überlieferten Anekdote deutlich: „Ein glühender Stein traf den Kopf von Lūṭs Frau, die die Zerstörung ihrer Heimatstadt schaute; es traf sie die allgemeine Strafe. Die Bürger, die zu diesem Zeitpunkt außerhalb waren, traf das gleiche Schicksal: Alle Sünder kamen in die Hölle. Einer von ihnen war gerade im Heiligtum von Mekka; der Stein, der ihn töten sollte, blieb in der Luft über ihm, solange er dort war, und traf ihn, als er es verließ.“[52] Also: Sex unter Männlichen ist abscheulich und verwerflich, man soll dagegen vorgehen und die Sünder zur Umkehr aufrufen. Hilft dies nicht, soll man sie strafen. Harte Strafen – im Dies- wie im Jenseits – sind Gott vorbehalten. Die Verse haben mehr den Charakter einer frommen Ermahnung und eines moralischen Verbots, als den eines Gesetzes.
Charles Pellat schließt den Qurʾān-Absatz seines EI-Artikels liwāṭ[53]> wie folgt: „Die Strafe, die das Volk Lots im Qurʾān wie in der Bibel (Gen., XIX, 1–23) trifft, läßt keinen Zweifel an der Art, mit der der Islam die Sodomie ansehen muß, auch wenn sie nicht ausdrücklich durch das Heilige Buch verurteilt wird, das übrigens eine gewisse Zweideutigkeit zuläßt, wenn es die Gläubigen mit Versprechungen ködert, daß sie im Paradiese von Epheben bedient würden (ġilmān LII, 24; wildān LVI, 17, LXXV, 19).“
LIWĀT IM ḤADĪṮ
Pellat fährt fort: „Die Aussagen des ḥadīṯ sind dagegen völlig klar und besonders streng, wie an-Nuwairī bemerkt, der sie gefälligerweise in seiner Nihāya (II 204–10) gesammelt hat und die Ansichten der Gefährten und der fuqahāʾ über diese Frage hinzufügt ...[54]
Nach Ansicht (des Propheten) sollen der Aktive und der Passive getötet werden (yuqtalu/ uqtulū l-fāʿil wa-l-mafʿūl bihī,[55] Termini, die später in der Grammatik für Subjekt und für Objekt benutzt werden sollten) oder – präziser: der Strafe unterworfen werden, die für den des zinā Schuldigen, den Hurer, vorgesehen ist, also gesteinigt werden[56] … Diese ḥadīṯe zeigen durch ihre bloße Existenz, daß die Homosexualität in der vorislamischen Periode in Arabien nicht völlig unbekannt war, wahrscheinlich ohne in der Beduinengesellschaft häufig zu sein.“[57]
Anders als Pellat, der die aḥādīṯ als zu Lebzeiten des Propheten – oder ganz kurz danach – entstanden ansieht (sonst könnte er aus ihrem Inhalt keine Schlüsse auf Zustände in der Ǧāhilīya ziehen und sonst könnte er nicht sagen, fāʿil und mafʿūl bihī seien späterhin Grammatiktermini geworden), sehe ich es eher wie J. A. Bellamy:
„… ḥadīṯ und aḫbār, die man kurz ‚Anekdoten‘ nennen kann, wurden von den frühen Muslimen eifrig erfunden, gesammelt und weitergegeben. … Diese Anekdoten wurden von einer Gruppe in Umlauf gesetzt, die gemeinhin als ahl al-ḥadīṯ oder aṣḥāb al-ḥadīṯ bezeichnet werden. Die Geschichte dieser Bewegung ist in groben Umrissen bekannt, aber die Einzelheiten sind dunkel, weil es meist unmöglich ist, eine bestimmte Anekdote zu datieren [bzw. weil die Einzelheiten dunkel sind, ist es meist unmöglich A.S.]. Sie begann in Medina im ersten Jahr hundert und die fuqahāʾ leisteten erst Widerstand. Sie wurde langsam stärker und erlebte eine richtige Blüte im zweiten/ achten Jahrhundert.“[58]
Trotz der bedeutenden neuen Erkenntnisse zur mündlich-schriftlichem Weitergabe von Wissen in der Frühzeit des Islam (S. Leder, G. Schoeler u.a.) und der detaillierten Kritik Motzkis an Goldziher, Schacht und Juynboll halte ich alle dem Propheten zugeschriebenen Sprüche über Sodomiter für fromme Fälschung. Motzki ist beizupflichten, wenn er vermutet, daß in den ersten 150 Jahre wenig Prophetensprüche gefälscht wurden. Solange die Juristen ihre Responsa nicht mit Prophetensprüchen stützen mußten – und ʿAṭāʾ b. Abī Rabāḥ (gest. 115) beruft sich nur in 1% der Responsa auf Muḥammad und das auch noch ohne isnād (zumindest in Motzkis sample) – gab es wenig Veranlassung zu Fälschungen. In den nächsten hundert Jahren wurde umso fleißiger gefälscht; wie sonst hätte Buḫārī 600000 Sprüche finden können (von denen er nur 1 % für sicher ansah), wie sonst hätte sich die Anzahl der Prophetensprüche, die von Ibn ʿAbbās berichtet werden, von 9 oder 10, von denen Yaḥyā b. Saʿīd al-Qaṭṭān [gest. 198] Wind bekommen hatte, auf 1660 zur Zeit Ibn Ḥazms [gest. 456/1064][59] vermehren können?
Aufgrund der klassischen asbāb an-nuzūl-Literatur und einer Stelle aus Motzkis Grundquelle, ʿAbdalrazzāqs Muṣannaf, gehe ich davon aus, daß der Prophet für alle wichtigen Fragen, in denen er von der Praxis der Ǧāhilīya abweichen wollte, eine Offenbarung bekam. Vor dem Hintergrund der Abschaffung der Adoption, der qaḏf-Offenbarung und anderen Fällen opportuner Einflüsterungen des Propheten, sowie dem Spruch ʿAṭāʾs, den sein Schüler Ibn Ǧuraiǧ nach II 233 fragte (Motzki übersetzt die Antwort: „… Es wird berichtet (yurwā), daß [der Vers] unter den Menschen [geoffenbart worden] ist, als sie über die Stillzeit uneinig waren.“[60]), ist es sehr wahrscheinlich, daß alle Anordnungen, die auf einigen Widerstand stießen oder hätten stoßen können, weil sie von der sunna des Ḥiǧāz abwichen, durch Offenbarung und nicht durch einfache Muḥammad’sche Anweisung geregelt wurden.
Aufgrund der Forschungen Motzkis gehe ich davon aus, daß nicht mehr als 600 aḥādiṯ richtig sind; falsch dürften insbesondere solche sein,
– die auffällige Parallelen in jüdischen, christlichen oder persischen Sprüchen, Maximen oder Regeln haben,
– an deren Existenz bestimmte Gruppen aus der Zeit, in der sie zuerst einwandfrei zu belegen sind, Interesse hatten,
– die Sachverhalte regeln, bei denen es Uneinigkeit zwischen den ṣaḥāba gibt. Denn hätte der Prophet die Sache wirklich geregelt, dürfte es keine Uneinigkeit geben (dies sieht auch Ibn Ḥazm[61] so);
– ferner solche, für die frühe Überliefererketten vor dem Propheten endeten, später aber bis zu ihm führen (dies sieht auch Juynboll[62] so).[63]
Inhalt der aḥādīṯ
Im ersten großen auf uns gekommenen Werk voller aḥādīṯ,[64] dem Muwaṭṭaʾ[65] des Medinensers Mālik b. Anas (gest. 179/795), finden wir:
Mālik berichtet mir [Yaḥyā], daß er [Muḥammad b. Muslim] Ibn Šihāb [az-Zuhrī] über denjenigen fragte, der das Tun der Sodomiter tut (allaḏī yaʿmalu ʿamal qaum Lūṭ). Ibn Šihāb sagte: Er ist zu steinigen (ʿalaihi ar-raǧm), sei er zur Wahrung der Keuschheit verpflichtet [66] oder nicht (aḥṣana au lam yuḥṣin).
Da hier von raǧm die Rede ist, kann angenommen werden, daß diese Bestimmung in Anlehnung an den ‚Steinigungsvers‘ entstand, welcher seinerseits in Anlehnung an Deuteronomium XXII 22 entstanden sein dürfte.[67] Im Qurʾān ist ja von raǧm nur im Zusammenhang mit dem ‚Steinigen‘ von Propheten durch Ungläubige die Rede. Paret übersetzt alle sechs Stellen (XI 91; XVIII 20; XIX 46; XXVI 116; XXXVI 18; XLIV 20) mit „steinigen, d.h. mit Steinwürfen verjagen“. Man beachte auch Lukas IV 29: sie „standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Rand des Berges, darauf ihre Stadt gebaut war, daß sie ihn hinabstürzten.“ In der Bedeutung ‚zu Tode steinigen‘ ist raǧm nach-qurʾānisch.
Auch die knappe Präzisierung aḥṣan setzt schon entwickelten fiqh voraus, in dem „muḥṣan“ – wörtlich ‚geschützt, gestärkt‘ und in frommer Rede auch ‚tugendhaft, standhaft‘ – terminus technicus für den geworden war, der schon die Freuden legalen Geschlechtsverkehr mit einer Gattin (oder Sklavin) genossen hat ( Zusatz : – bei Šīʿiten: und zur Zeit genießen kann).
In den nächsten zwei (erhaltenen, gefundenen, edierten) Spruchsammlungen, dem an mekkanischem Material reichen Muṣannaf des Jemeniten Abū Bakr ʿAbdarrazzāq b. Hammām b. Nāfiʿ al-Ḥimyarī aṣ-Sanʿānī (gest. 211/827) und dem Muṣannaf des Kufiers Abū Bakr ʿAbdallāh b. Muḥammad b. Abī Šaiba (gest. 235/849), finden wir zwar 26 Sprüche, die meisten stammen von Prophetengenossen, viele von Nachfolgern; nur ein Prophetenwort hat rechtlichen Charakter: uqtulū l-fāʿil wa-l-mafʿūl bihī, yaʿnī allaḏi yaʿmal ʿamal qaum Lūṭ – übrigens geht der Spruch weiter: und wer das Vieh beschläft (atā), tötet ihn und tötet das Vieh!
In den beiden ṣaḥīḥ-Sammlungen – der von Buḫārī (gest. 256/870) und der von Muslim (gest. 261/875) – gibt es zu liwāṭ nichts.
Aḥmad b. Ḥambal (gest. 241/855/6), der Begründer der nach ihm benannten auf aḥādīṯ angewiesen Rechtsschule, hat im Musnad einiges zusammengetragen:
– Verfluchungen (I 217, I 309; I 317 in 3 Varianten)
– die kleine lūṭīya (II 182, II 210 – also 2 Varianten) (s. S. 54)
– „ich fürchte für meine Gemeinde wegen …“ (III 382)
– Nicht-unter-einer-Decke-Schlafen in 7 Varianten (II 497; III 348, 356, 398, 395; IV 134, 135)
– und mit der größten juristischen Bedeutung: fa-qtulū -fāʿil wa-l-mafʿūl bihī = tötet (exekutiert) den Aktiven und den Passiven. In den sunan von Ibn Māǧa (gest. 273/886), Abū Dāud (gest. 275/888) und at-Tirmiḏī (gest. 279/892) finden sich ein paar Sprüche, was weniger auf ihre Wohlüberliefertheit hindeutet, als darauf, daß sie von fuqahāʾ gebraucht wurden.[68]
Neben dem „Ich fürchte um meine Gemeinde“-Spruch (Ibn Māǧa 2606; Tirmiḏī 24.4) und einem „Verflucht sei“-Spruch (Tirmiḏī 24.2), so wie einem ebenfalls nicht rechtlichen ḥadīṯ („Gott schaut nicht auf …“ Tirmiḏī 1176), finden wir: den ḥadīṯ, nach dem der fāʿil und der mafʿūl bihī hingerichtet werden sollen (Ibn Māǧa 2604, Tirmiḏī 24.1, Abū Dāūd, sowie in einer Variante Tirmiḏī 24.3), den auch Ibn Ḥambal bringt – und zwar mit fünf gleichen Gliedern,[69] was nach Juynboll für die Fälschung durch das fünfte Glied spricht; ferner ein ḥadīṯ, nach dem der aʿlā und der asfal gesteinigt werden sollen (Ibn Māǧa 2605) sowie ein ḥadīṯ, nach dem der bikr (das ist der ġair muḥṣan) gesteinigt werden soll (Abū Dāūd).
In der von Pellat erwähnten Auflistung von Nuwairī – und dessen Vorlage: Ibn al-Ǧauzīs Ḏamm al-hawā[70] – finden wir 41 ‚Anekdoten‘ : neben den „Verflucht sei“- und „Ich-fürchte“-, sowie dem „Gott-schaut-nicht“- und den Tötungs- und Steinigungs-aḥādīṯ, aḫbār über Rechtssprüche der ṣaḥaba, die Meinungen der Gründer der sunnitischen Rechtsschulen, sowie zwei Aussprüche über die lūṭīs am Jüngsten Tage:
… nach ʿAbdallāh b. ʿAmr: Die lūṭīs werden am Tag des Jüngsten Gerichts in Form von Affen und Schweinen erscheinen.
…
nach Ibn ʿAbbās: Wer aus der Welt in einem [bestimmten] Zustande geht, kommt aus seinem Grab in jenem Zustande heraus, wenn [also] der lūṭī am Tag des Jüngsten Gerichts heraus kommt, haftet sein Penis am Hintern seines Gefährten und beide stehen bloßgestellt an der Spitze der Geschöpfe.
NACHTRAG
leider habe ich die schi’itischen Hadith-Sammlungen ignoriert. Es gibt vier wichtige (https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Shia_books#Hadith_collections)
Neben viel Juristischem, das nicht stark im Material der Sunniten abweicht, gibt es eine aufschlussreiche Anekdote in al-Kāfī, K. an-Nikāḥ 186. Darin macht sich Iblīs schön, um die Sodomer zur Sodomie zu verleiten.
– عَلِيُّ بْنُ إِبْرَاهِيمَ عَنْ أَبِيهِ عَنْ أَحْمَدَ بْنِ مُحَمَّدِ بْنِ أَبِي نَصْرٍ عَنْ أَبَانِ بْنِ عُثْمَانَ عَنْ أَبِي بَصِيرٍ عَنْ أَحَدِهِمَا (عَلَيْهِما السَّلام) فِي قَوْمِ لُوطٍ إِنَّكُمْ لَتَأْتُونَ الْفاحِشَةَ ما سَبَقَكُمْ بِها مِنْ أَحَدٍ مِنَ الْعالَمِينَ فَقَالَ إِنَّ إِبْلِيسَ أَتَاهُمْ فِي صُورَةٍ حَسَنَةٍ فِيهِ تَأْنِيثٌ عَلَيْهِ ثِيَابٌ حَسَنَةٌ فَجَاءَ إِلَى شَبَابٍ مِنْهُمْ فَأَمَرَهُمْ أَنْ يَقَعُوا بِهِ فَلَوْ طَلَبَ إِلَيْهِمْ أَنْ يَقَعَ بِهِمْ لأبَوْا عَلَيْهِ وَلَكِنْ طَلَبَ إِلَيْهِمْ أَنْ يَقَعُوا بِهِ فَلَمَّا وَقَعُوا بِهِ الْتَذُّوهُ ثُمَّ ذَهَبَ عَنْهُمْ وَتَرَكَهُمْ فَأَحَالَ بَعْضَهُمْ عَلَى بَعْضٍ.
4. Ali ibn Ibrahim has narrated from his father from Ahmad ibn Muhammad from ibn abu Nasr from Aban bin ‘Uthman from abu Basir who has said the following: “One of the two Imam, (abu Ja’far or abu ‘Abd Allah), ‘Alayhim al-Salam, has said, ‘In the case of the people of Lot mentioned in the Quran: “You engage in such indecent acts in which no one of the people of the world before had ever engaged,”’ He (the Imam) said, ‘Iblis (Satan) came to them in the form of a good looking person with femininity, with good looking clothes and he came to their young ones and asked them to have sex in his anus. Had he asked them to allow him have sex in their anus they would refuse but he did the opposite and when they did as he wanted them to do they enjoyed it. He went away and left them to engage in such indecent act with each other.’” https://thaqalayn.net/hadith/5/3/186/4