Arno

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liwāṭ im fiqh 06 ‒ Folgerungen

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 14.Januar 2010 at 09:55

PLICHTENLEHRE ODER PRAKTIZIERTES RECHT

In den islamischen Reichen war die šarī ʿa nicht bloß Pflich­ten­lehre, aber auch nicht das allein ange­wandte Recht: sie war „the law of the land“, teils un­mit­tel­bar wirk­sam, teils die ge­samte poli­tisch-gesell­schaft­liche Ord­nung legi­ti­mie­rend. Chafik Che­hata unter­schätzt ihren Gel­tungs­bereich, wenn er sie als „Pri­vat­recht“ (Fami­lien-, Ehe- und Erb­recht sowie Ver­mögens- und Trans­aktions­recht) be­zeich­net. Johan­sen stellt fest: „Das Straf­recht wird schon früh den qāḍīs weit­gehend ent­zo­gen und den kon­kur­rie­ren­den Ge­richts­bar­kei­ten des ṣāḥib al-maẓālim, des muḥ­tasib, des ṣāḥib aš-šurṭa und des ḥāǧib unter­stellt.[189] Unter den Osma­nen kommt es prak­tisch zu einem welt­lichen Straf­recht, das in eige­nen Samm­lun­gen schrift­lich vor­lag, und das anzu­wen­den die Richter ver­pflich­tet waren.[190] … Es ist also richtig, fest­zuhal­ten, daß das Straf­recht der šarīʿa meistens kein prak­ti­zier­tes Recht war, ob­wohl es im­mer wie­der – bis in die Gegen­wart – Ten­den­zen ge­geben hat, es gegen ab­wei­chen­de Rechts­for­men durch­zu­setzen …[191] Dies unter­schätzt zwar die prak­tische Be­deu­tung der šarīʿa im osma­ni­schen Reich, des­sen qawā­nīn das šarīʿa-Straf­recht weit­gehend intakt lie­ßen und das die Po­si­tion des qāḍī stärkte – ihn gleich­zei­tig in ein staat­li­ches Justiz­wesen ein­bin­dend –, ist je­doch zu­mindest für den Gegen­stand dieser Arbeit richtig.

Kresmárik nennt den ḥudūd-Teil der šarīʿa „Selbst­justiz“,[192] was Johan­sen so über­setzt: „das Recht der ḥudūd [ist] so be­schaf­fen, daß es nur die Be­stra­fung des­jenigen erlaub[t], der die Strafe auf sich nehmen will.“ Dies gilt ganz be­son­ders für liwāṭ, da es – auch nach Auf­fas­sung vieler Juristen [193] – das klassische Ver­bre­chen ohne Opfer ist. Während Dieb­stahl und Straßen­raub Eigen­tum und Leben ver­letzen und zinā zu Unklar­heiten bei der Ab­stam­mung führen kann und die Ehre der Ur­sprungs­familie der Frau und/oder die Rechte ihres Ehe­manns an seiner Frau ver­letzt, wird bei liwāṭ weder ein Hymen ver­letzt, noch besteht die Gefahr einer Schwan­ger­schaft. Weniger die Tat als ihr Ruchbar-Werden schadet.

Im Gegensatz zum modernen bürger­lichen Recht, dessen Würde auf allgemeiner, gleicher An­wen­dung beruht, ver­langt das ḥudūd- Recht nicht die Auf­spürung und über­füh­rung aller Täter: es beruht nicht auf ex­ten­siver Anwen­dung (damit ‚crime doesn’t pay‘ auch ge­glaubt wird), sondern auf exem­plari­scher (die Drohung erneuernder) Exekution. Denn „Gott ist erhaben darüber­, daß ihm ein Mangel anhaften könnte, so daß er in seinem Rechtsanspruch des Aus­gleichs bedürfte.[194]

Die Unerbittlich­keit der Strafe, wenn einmal alle Beweis­hürden über­wunden sind, die Unmög­lich­keit der Be­gna­di­gung oder Ver­rin­gerung der Strafe auf­grund ‚mildern­der Um­stände‘ weist auf den sakralen Charak­ter der šarīʿa. „Denn in der Aus­übung der Gewalt über­ Leben und Tod bekräftigt … das Recht sich selbst.[195]

Die šarīʿa weist für sariqa und muḥāraba[196] fünf – für zinā (und liwāṭ) sechs – Vor­keh­run­gen auf, die Zahl der Ver­ur­tei­lungen gering zu halten:

1. šubha = juristi­sche Vor­behalte, prozeß­recht­liche Bestim­mungen, die den Beweis meist unmöglich machen.[197]

2. Die Zeugen müssen männ­liche, unbe­scholtene, freie, sehende mus­limi­sche Augen­zeugen der Tat selbst sein; die beiden Täter allein in einem Raum zu wissen und ‚ein­deutige‘ Geräusche zu hören reicht nicht. (Juden, Christen, Blinde und Frauen sind – anders als Schwach­sinnige, Minder­jährige und übel Beleu­mun­dete – nicht in allen Pro­zessen von der Zeugen­schaft aus­ge­schlos­sen.) Und wenn vier er­wach­sene Muslime die Tat so genau und deut­lich ge­sehen haben, wie es das Prozeßrecht vor­schreibt, sind sie eigentlich immer in der Lage, die Tat zu ver­hin­dern, wozu sie ver­pflich­tet sind (ḥisba).

3. Die Zeugen müssen selbst vor dem Richter in ein und der selben Ver­handlung aus­sagen. Die schriftlich bestätigte Aus­sage vor einem anderen Richter wird – anders als in Zivil­rechts­fragen – nicht aner­kannt.

4. Die Zeugen müssen un­mittel­bar nach der Tat diese anzeigen. Tun sie dies nicht, müssen sie schweigen.[198]

5. qaḏf = Bestrafung unbewiese­ner Anschul­di­gung – nicht etwa erwie­sen falscher An­schuldi­gung – von zinā (und liwāṭ). Es han­delt sich um eine ḥadd–Strafe beruhend auf XXIV 4 „Die­jenigen, die ehr­bare Frauen in Verruf bringen und dar­auf­hin keine vier Zeugen bei­brin­gen, ver­ab­reicht ihnen 80 Hiebe und nehmet nie (mehr) eine Zeu­gen­aus­sage von ihnen an! Sie sind Frevler.“ (Paret) Vgl. auch XXIV 23–25.[199]

6. Dem Beschuldig­ten darf kein Schwur zur Beteue­rung seiner Unschuld auferlegt werden.

Neben den prozeduralen Schutz­vor­schrif­ten gibt es moralische:

1. satr (Verhüllen): „Wer (die Sünden) seines Nächsten in dieser Welt be­deckt, dessen Sünden wird Gott am Jüngsten Tag be­decken.“ Dieser ḥadīṯ findet sich in Muslims Saḥīḥ,[200] und Abū Zakarīyāʾ Yaḥyā an-Nawa­wī (gest. 676/1277) hat es in seine viel ge­lesene Samm­lung Riyāḍ aṣ-Sāliḥīn auf­ge­nom­men.[201]
Ein anderer von Muslim, Buḫārī und Nawawī gebrachter ḥadīṯ lautet: „Allen meinen Leuten wird ver­geben, außer denen, die Sünden auf­decken, auch ihre eigenen, die sie nachts be­gangen haben und die Gott zuge­deckt hat. … Des Nachts be­deckte Gott es, und er zer­reißt am Morgen Gottes Decke![202]

Ähnlich Mālik: Muwaṭṭaʾ: „Wer etwas von diesen schmu­tzi­gen Dingen be­geht, der soll sich mit Gottes Decke bedecken![203] Nach Mālik auch bei Buḫārī, Buch 41, ḥadīṯ 12,[204] und aus­führ­licher als 2. Spruch des 41. Buches: „Mālik berich­tete mir von Yaḥyā b. Saʿīd nach Saʿīd b. al-Musaiyab, daß ein Mann vom Stamme der Aslam zu Abū Bakr kam und sagte: „Ich habe gehurt.“ Abū Bakr sagte ihm: „Hast du dies schon jemand anderem ge­sagtö“ Er sagte: „Nein“. Abu Bakr sagte ihm: „Dann … verberge es mit dem Schleier Gottes. Gott nimmt die Reue seiner Sklaven an.[205] Noch nicht beruhigt ging der Sünder zu ʿUmar b. al-Ḫaṭṭāb, der ihm die gleiche Auskunft gab. Schließlich ging er zum Pro­pheten, der ihn drei­mal weg­schickte. Mālik berichtet weiter, daß der Prophet einem der Stammes­ge­nos­sen des Mannes sagte: „Ihr hättet besser daran getan, ihn mit einem Mantel zu bedecken.[206]

2. das Verbot zu spionieren und

3. das Verbot übler Nachrede:

XLIX 12 Und spioniert nicht und sprecht nicht hintenherum schlecht von­ein­ander!

XXIV 19 Diejenigen, die wünschen, daß etwas Abscheuliches über­ die Gläubi­gen allgemein bekannt wird, haben eine schmerzhafte Strafe zu erwarten – im Diesseits wie im Jenseits. (nach Paret)

Nawawī bringt folgenden ḥadīṯ nach Muslim:

Hütet euch vor Ver­dächti­gungen; sie sind Falsch­heit. Sucht nicht nach den Fehlern der andern und spio­niert nicht unter­ein­ander und beneidet euch nicht … Ein Muslim dem ütigt keinen Muslim, noch ver­ach­tet er ihn. Einem Muslim ist alles un­antast­bar, was eines Muslims ist: sein Blut, seine Ehre, sein Eigen­tum … [207]

Wer also anklagt, läuft nicht nur Gefahr wegen Ver­leumdung bestraft zu werden, setzt sich nicht bloß dem Verdacht aus, zugeschaut zu haben, statt es zu verhindern, er handelt auch un­mora­lisch.

Schließlich soll der qāḍī nicht alles daran setzen, das Ver­gehen aufzu­decken, er soll sogar Gestän­dige auf mög­liche Täuschung hin­weisen. Ist er von einer Tat über­zeugt, soll er nicht ver­suchen, den Beweis zu erbringen, son­dern den Täter er­mah­nen – bei ange­sehe­nen Leuten kann das so be­hut­sam erfolgen, daß er sie weder zu sich kommen läßt, noch sie durch einen Besuch kom­promit­tiert, sondern ihnen diskret eine Bot­schaft über­mitteln läßt.[208] Daß kein Übeltäter der dies­seiti­gen Strafe entkommt, ist also nicht die Sorge der fuqahāʾ.

Die Gültigkeit der šarīʿa und virtuelle Voll­zieh­bar­keit der Strafen reicht voll­auf; diese legitimato­rische, quasi-religiöse Funktion des Rechts kann durch zweierlei gestört werden:

a. durch offenes, unverschämtes über­treten des Ver­bots, durch unge­straftes Nicht-Leugnen eines (allge­mein bekann­ten) Tuns, weil dies die Straf­drohung untergräbt,

b. durch Infrage-Stellen des Ver­boten-Seins des Ver­bo­tenen und des Ge­boten-Seins des Gebotenen.

Wer gegen die Verbote verstößt, dies aber be­streitet, be­kräftigt hingegen durch sein Leugnen die Gültigkeit des Verbots; solch deviantes Verhalten wird toleriert.

Wer sich non-konfor­mistisch verhält, sich also um ein Gebot oder Verbot der Gesell­schaft ein­fach nicht kümmert, sich darüber­ hinweg­setzt, es sozusagen „für sich außer Kraft setzt“, ohne seine all­gemeine Gültig­keit anzu­greifen, wird meist in Frieden gelassen. Wer jedoch gegen das Gesetz re­belliert, seine Gültig­keit bestreitet, muß zur Raison ge­bracht werden. Denn „der ist ein Ungläubi­ger, der etwas erlaubt, was in der Religion des Pro­pheten ver­boten ist, wie die Ver­wandten zu heiraten, die man nicht heiraten soll, oder das Wein­trinken oder das Essen von … Schweine­fleisch außer in Notfällen. Diese Dinge zu
be­gehen, ohne sie zu er­lau­ben,
ist Sünde (fisq). (Jedoch sie) zu erlauben ist Unglauben (kufr)“,[209] worauf die Todes­strafe steht. Grund­lage hierfür IX 29: „Bekämpft diejenigen, die nicht an Gott und den Jüngsten Tag glauben, und nicht für ver­boten erklären, was Gott und sein Gesandter für ver­boten erklärt haben.“

Rechtspraxis

Da das islamische Recht mit devianten Übeltätern ‚leben kann‘, blieben sie meist am Leben. Dies kann man nicht nur an der Spärlichkeit der Berichte über­ Hinrichtungen von lūṭīs und *Geluteten ablesen, sondern auch am langen Leben von als lūṭīs bekannten Dichtern wie Abū Nuwās und Herrschern wie Amīn (Bagdad), Ibrāhīm (Tunis) oder ʿAbdal­malik (Cordoba). Eine Stelle bei Ibn Ḫallikān halte ich für auf­schlußreich, weil sie er­ken­nen läßt, daß die Juristen solche Men­schen am Leben ließen: Es heißt dort über­ Abū ʿUbaida Maʿmar b. al-Muṯannā, daß kein ḥākim ihn als Zeugen zuließ, weil er der Knaben­liebe (mail ila l-ġilmān) verdächtigt wurde.[210] Die in den Sexual­hand­büchern vor­kommen­den lūṭīyūn und *Geluteten scheinen sich wenig Sorgen um mögliche Bestra­fung gemacht zu haben.

Auf­schlußreich ist auch eine Bestimmung im šīʿitischen Eherecht, nach der „der Männ­liche, welcher mit einem Männ­lichen Geschlechts­verkehr hatte, weder dessen Mutter, noch dessen Schwester oder Tochter hei­raten kann.[211] Ganz ähn­lich bei Ibn Ḥam­bal: lau lāṭa bi-ġulāmin, ḥurrimat ʿalaihi ummuhū wa-bintuhū. [212]

Im Licht solcher Bestimmungen kann sich eine Stelle des Ḥana­fi­ten Ibn ʿĀbidīn auch auf Verkehr mit Männ­lichen beziehen: „über­ die liwāṭa gibt es noch andere Regelun­gen: Bei ihr ist der mahr nicht nötig, noch die ʿidda, wie beim ungültigen nikāḥ oder beim Koitus mit šubha. Noch macht sie die Frau für den ersten Ehe­mann ḥalāl. Noch wird durch sie die Wieder­ver­heira­tung mit der geschie­denen Frau voll­zogen. Noch gilt das Heirats­verbot durch Ver­schwägerung – zumindest nach der Meinung der meisten! …[213]

Sogar die moral-strenge ḥisba-Litera­tur bietet Belege für die Tendenz, nicht in Schlaf­zimmern, Stun­den­hotels etc. zu spionie­ren. Ibn ʿAbdūn schreibt Anfang des 12. Jahr­hun­derts westl. Kalenders: „Die Lust­knaben (al-ḥiwā, sg. al-ḥāwī) sollen aus der Stadt ver­trieben werden. Die­jenigen, die man danach noch antrifft, wer­den bestraft. Man darf sie sich nicht unter Mus­limen bewegen lassen, noch an Festen/Hoch­zei­ten teil­neh­men lassen, da sie Unzucht (zinā) treiben und von Gott und den Menschen verflucht sind.[214] Die For­derung dieser Mora­listen war Ver­bannung; in der Rea­lität werden Lust­knaben auf Hoch­zeiten getanzt haben.

ZUSAMMENFASSUNG

Der Qurʾān verbietet liwāṭ, setzt aber keine Strafe fest.

Die fuqahāʾ stellen ihn unter Strafe, machen aber den Vollzug der Strafe vom Geständ­nis abhängig.

Die Gesellschaft duldet ihn, solange es diskret geschieht.

Das islāmische Recht weist nicht nur zur Praxis, sondern auch zu den Normen der islāmi­schen Gesell­schaft große Dif­feren­zen auf: Während das Recht liwāṭ an einem Männ­lichen kate­go­risch unter Strafe stellt, haftet dem ‚Aktiven‘ gesellschaft­lich kein Makel an. Aus Rücksicht auf den *Geluteten und/oder auf das islāmische Recht wird jedoch Diskretion erwartet.

Im Vergleich zum alten Griechenland, in dessen Ober­schicht Päd­erastie Institution war,[215] wird deutlich, daß sich die Gesell­schaft durch das nominelle Ver­bot der Möglichkeit be­gibt, formend zu wirken: Wo ein Verhalten ins Halb­dunkel gedrängt wird, wo Sex zwischen Männ­lichen nicht Teil eines Ver­hal­tens­ensembles mit Gesellig­keit, Unter­weisung, kulturellen und sport­lichen Veran­staltun­gen ist, wo die Familie eines jugend­lichen Partners davon nichts erfahren darf, ist die Gefahr der Reduktion auf das Sexuelle größer.

Wie kam es zu diesem Aus­einander­klaffen von gesell­schaft­licher Praxis und šarīʿa: Warum stell­ten die fuqahāʾ liwāṭ unter Strafe, obwohl sie das nach dem Heili­gen Buch nicht zu tun brauchten?

Es könnte daran liegen, daß die fuqahāʾ alles andere als einen Quer­schnitt der muslimi­schen Be­völ­kerung bildeten. Die fuqahāʾ und ahl al-ḥadīṯ (Mālik b. Anas und Aḥmad b. Ham­bal gehören zu beiden) heben sich nicht nur von der Masse der kleinen Leute und Bauern ab, sie können auch von den im Weltlichen Ton­an­ge­ben­den unter­schie­den werden: sozio­logisch (dem Stande nach), psycho­logisch (nach Tem­pera­ment und Nei­gung) und ethno­logisch (der Herkunft nach):

1. Die fuqahāʾ haben meist ein bürgerliches Umfeld, sie oder ihre Ver­wand­ten sind wie S. D. Goi­tein[216] und H. J. Cohen[217] gezeigt haben Händler und Hand­werker – das Leben der Bürokraten (kuttāb ), der Literaten und Hof­dichter und des Militärs ist ihnen relativ fremd.

2. Die fuqahāʾ inter­essieren sich anders als Über­setzer und Medi­ziner, Philo­so­phen und Gnosti­ker, und auch manche Theo­logen und Mysti­ker wenig für die hellenistisch-städti­sche Kultur.

3. Die fuqahāʾ und ahl al-ḥadīṯ sind arabischer[218] als die Literaten, Philo­logen und Sekre­täre (kuttāb); man findet sie eher in Medina, Kūfa oder Baṣra als in Damaskus oder Bagdad.

Übrigens gibt dieser Ansatz eine mögliche Erklärung für die relativ milde Haltung der frühen Ḥanafi­ten zu liwāṭ. Die Medi­nen­ser leb­ten nicht nur in größerer geo­graphi­scher Distanz zum (lockeren, wein­trinken­den) Hof, sie standen in einer gewis­sen Opposition zu ihm; das Verhältnis von Abū Yūsuf, immerhin – anders als Abū Ḥanīfa und aš-Šaibānī – ein „rich­tiger Araber“, zur welt­lichen Elite war ein ganz anderes.[219]

Nachdem das in privaten Zirkeln „gemachte“ Recht, als göttlichen Ursprungs anerkannt war, das zwar fortentwickelt wurde, aber als unabänderlich galt, und der Staat zum Wächter dieses Rechts erklärt worden war, mußten die lūṭīyūn sich anpassen. Während in Syste­men mensch­lich gesetz­ten Rechts ein solches Aus­ein­ander­klaf­fen von Rechts­empfinden und Gesetzes­text lang­fristig beseitigt wer­den muß, hat die muslimische Gesellschaft sich mit ihrem als unwandel­bar gedachten gött­lichen Recht zu arrangieren gewußt – durch Verstellung und Verhüllung seitens der Täter, sowie die Bereitschaft des Rechts, solch sündiges Tun nicht zu enthüllen.

NOTEN

[189] Emile Tyan: Histoire de l’Organisation Judi­ciaire en Pays d’Islam, Leiden: Brill, 21960, passim; Chafik Chehata: ƒEtudes du droit musulman: Application au Proche Orient, Paris, 1970, S. 10. Der Mufti ar-Ramli gebraucht für einen solchen nicht-qādī die Begriffe hākim as-siyāsa und hākim al-ʿurf.

[190] Uriel Heyd: Studies in Old Ottoman Criminal Law, S. 150–152, 177, 202.

[191] Baber Johansen: „Zum Prozeßrecht der ʿuqūbāt“ in ZDMG Suppl. III,1 (19. Dt. Orientalistentag), Wies­baden, 1977, S. 477f.; jetzt auch in B. Johansen: Contingency in a Sacred Law, Leiden: Brill, 1999, S. 421f.

[192] „Beiträge zur Beleuchtung des isla­mi­ti­schen Straf­rechts, mit Rück­sicht auf Theorie und Praxis in der Türkei“ in ZDMG LX, 1904, S. 106, 331 – Nebenbei macht diese eigen­artige Verwendung des Wortes klar, daß der gemeine Gebrauch falsch ist: Lynch-Mord ist keine Justiz an sich selbst, sondern ein Verbrechen an anderen.

[193] Ausnahme Ibn Qaiyim al-Ǧauzīya – vgl. S. 86.

[194] Saraḫsī: Mabsūṭ IX S. 36.

[195] Walter Benjamin: „Zur Kritik der Gewalt“ in Ein Lesebuch (Hg. R. Fellinger), Frankfurt: Suhrkamp, 1984, S. 115.

[196] Auch qaṭʿ aṭ-ṭarīq, per­s. hirba, auf türk. sāʿī bi-l-fasād auf­grund von V 32.

[197] B. Johansen: „Zum Prozeßrecht …“, bes. S. 481–485; Contingency in a Sacred Law, S.225–229.

[198] B. Johansen: „Eigentum, Familie und Obrigkeit im Hanafi­tischen Strafrecht“, S. 45; er gibt Stellen vo n Saraḫsī, Kasānī, Marġīnānī und Ibn ʿĀbidīn an.
[199] Dies gilt natürlich nicht bei denen, die für liwāṭ keine hadd-Strafe vorsehen.

[200] Bāb 21, hadīṯ 71 (2590).

[201] Bāb 28, Nr 240 in der CD-ROM von Dār al-Ḥadīṯ, Nr 242 in der über­setzung von Muhammad Zafrulla Khan: Gardens of the Righteous, London: Curzon Press, 1975, S. 60.
[202] Khan, 241 bzw. 243; Buḫārī, bāb 60, 5721; Muslim bāb 52, 2990.
[203] al-Qāhira, o.J., III S. 43, 44; zit. nach El Baradie, a.a.O., S. 207.
[204] 41.2.12: Mālik berichtete mir von Zaid b. Aslam, daß zu Lebzeiten des Gesandten Gottes ein Mann zinā gestand. Der Gesandte Gottes ließ eine [nicht zu harte] Peitsche kommen. … Nach Aus­peit­schung sagte er: „Die Zeit die Grenzen Gottes zu beachten, ist gekommen. Wer eines dieser schmutzigen Dinge (qāḏūrāt) tut, soll sie ver­schleiern mit Gottes Schleier (sitr). Wer sie uns (selbst) offen legt, an dem werden wir vollziehen, was im Buch Gottes festgelegt ist.“
[205] Erst nachdem er es ʿUmar b. al -Ḫaṭṭ ab und bei drei verschiedenen Gelegen­heiten dem Pro­pheten gesagt hatte, dieser in Erfahrung gebracht hatte, daß er geistig gesund ist und schon legalen Geschlechts­verkehr hatte, ließ er ihn steinigen.
[206] Buḫārī zweimal in Buch 41, Kap. 3
[207] Garden, S. 266, Kap. 269, 1575, Hervorhebung A.S; auf der CD vom Dār al-Ḥadīṯ, 1570; bei Muslim Buch 45, Kap. 28 (2563); bei Buḫārī zweimal in Buch 71 (5717, 5719) und einmal in Buch 77 (6345).
[208] Vgl. Māwardī (gest. 450/1058): al-Ahkām as-sulṭānīya, über­s. Fagnan: Les statuts gouverne­mentaux, Alger, 1915, S. 505f.; vgl. auch Uriel Heyds Studies in Old Ottoman Criminal Law, a.a.O., S. 63, 102. Nach dem welt­lichen osmanischen Recht wurde bestraft, wer einen Dieb nicht anzeigte. Bei Sitt­lich­keitsverbrechen wurde die Anzeige ausdrücklich nicht gefordert.
[209] Masʿūd b. ʿUmar at-Taftāzānī: Šarh ʿala l-ʿAqāʾid an-Nasafīya, a.a.O., S. 148; über­s. Earl E. Elder: A Commentary on the Creed of Islam, a.a.O.,
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[210] Wafayāt, Hg. Ihsān ʿAbbās, V S. 241; über­s. de Slane, III S. 395.

[211] Hier nach dem vor-‚revolutionären‘ Iranischen BGB § 1056; zit. nach Raphael Aghababian: Législation irānienne, Paris, 1951, II S. 90.

[212] Zit. nach Muhammad ʿ»d aš-Šāfiʿīs iḫtilāf-Werk: al-Manhaǧ aṣ-ṣūfī fi l-fiqh al-islāmī, al-Qāhira: Maṭābiʿ al-Ahrām at-Tiǧārīya, 1975, S. 196. – Im Buch Die Ehe, dem Kapitel Frauen, die erlaubt und die, die verboten sind, erwähnt Buḫārī einen Spruch, den der unzu­ver­läs­sige Yahyā al-Kindī nach aš-Šaʿbī und Abū Ǧaʿfar berichtet: „Wer mit einem Jungen rum­macht (yalʿab bi ṣ-ṣabī): wenn er es [das Glied] ihm reinsteckt, darf er seine Mutter nicht heiraten.“ Der Kommen­tar, der Ort und Mittel des Ein­dringens erklärt, weist auch auf die Parallelstelle bei Ibn Ḥam­bal.

[213] Radd al-muhtār, Miṣr, 1272/1855, III S.155 = al-Qāhira, 1307/1890, III S. 170 = Bulāq: Amīriya 1324/1906, III S. 160 = al-Qāhira, 21966, S. 28.

[214] Hg. E. Lévi-Provençal: « Un document sur la vie urbaine et les corps de métiers à Séville au début du XII siècle: le traité d’Ibn ʿAbdūn » in Journal asiatique , avril-juin 1934, S. 241; über­s. E. Lévi-Provençal: Séville musulmane au début du XII siècle: le traité d’Ibn ʿAbdūn…, Paris: Maisonneuve, 1947, S. 114; vgl. auch Abū ʿAbdallāh: Kitāb fī ādāb al-hisba, Hg./über­s. G.-S. Colin und E. Lévi-Provençal: Un manuel hispanique de hisba, Paris: Le Roux, 1931, S. arab. 68.

[215] Vgl. etwa K. J. Dover: Greek Homo­sexuality, London: Duckworth, 1978, und Peter Mason: The City of Men, Göttingen: Edition Herodot, 1984.

[216] Studies in Islamic History and Institutions, Leiden: Brill, 1968.

[217] “The Economic Back­ground and the Secular Occupa­tions of Muslim Juris­prudence, JESHO XIII, 1970.

[218] Vgl. Harald Motzki: “The Role of Non-Arab Converts in the Develop­ment of Early Islamic Law” in Islamic Law and Society VI, 1999, S. 293–317.

[219] Vgl. Christopher Melchert: “How Hanafism Came to Originate in Kufa …” in Islamic Law and Society VI, 1999.

liwāṭ im fiqh 05 – Andere

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 13.Januar 2010 at 09:52

5. IMĀMĪYA = ǦAʿFARĪYA = ZWÖLFER-ŠĪʿA

Für die Imāmīya habe ich fünf Autoren her­an­gezo­gen: einen aus dem elften Jahr­hun­dert, einen aus dem drei­zehnten, dazu einen Kom­men­tar aus dem sech­zehnten Jahr­hundert, sowie zwei Texte aus dem zwanzig­sten Jahr­hundert. All­gemein kann gesagt werden, daß sie den Tat­komplex liwāṭ stärker dif­feren­zieren als die sunnitischen Juristen.

Präklassisch

Der große Jurist Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. al-Ḥusain aṭ-Ṭūsī (gest. vor 460/1067) lebte zwar in einer Zeit, in der klassische fiqh-Werke verfaßt wur­den, sein Kitāb al-istibṣār ist jedoch so wenig systematisch, daß es nicht als klas­sisch ge­wertet werden kann. Im bāb al-ḥadd fi l-liwāṭ führt er einen Aus­spruch ʿAlīs (Wenn es jemand ver­dien­te, zwei­mal gesteinigt zu werden, so wäre es der lūṭī.) und 12 casus auf:[134]

Schwert und Verbrennen der Leiche für alle
Schwert ohne Spezifikationen
Schwert für muḥṣan – 100 Hiebe für ġair muḥṣan
Steinigung für muḥṣan – 100 Hiebe für ġair muḥṣan
Schwert bei Pene­tration (Durchlöchern/ṯaqb) – 100 Hiebe ohne Durchlöchern
Schwert/Herabstürzen/Verbrennen für Eindringen (īqāb)
Schwert/H.st./Verbr./Steinigung für Eindringen so muḥṣan
ḥadd wie für zānī ohne Spezifikationen
ḥadd wie für zānī f. d. Ein­drin­ger – Schwert für den, in den einge­drungen wird
Steinigung für muḥṣan, der eindringt – Hiebe für ġair muḥṣan, der eindringt
Hiebe für muḥṣan, ohne Pene­tration
Schwert für muḥṣan, der eindringt – Tadel für den (pene­trier­ten) ġulām (Sklaven/Minderjährigen?)
Schwert bei tafḫīḏ – 100 Hiebe für zwei unter einer Decke – Schwert bei Wieder­holung, so muḥṣan

Selbst die Begriffe bleiben unein­deu­tig: einmal definiert er lūṭī als ‚Eindringer‘, während ein ander’ Mal tafḫīḏ unter liwāṭ fällt.

Von Naǧmaddīn Ǧaʿfar b. al-Ḥasan b. Yaḥyā al-Ḥillī al-Muḥaqqiq al-Auwal (gest. 676/1277) habe ich zwei fiqh-Werke ein­ge­sehen, deren liwāṭ-Kapitel einander wie zwei Eier gleichen: den Muḫtaṣar an-Nāfi [135] und Šarāʾiʿ al-islām fī masāʾil al-ḥalāl wa-l-ḥarām.[136] Letzteres weist zusätzlich eine Definition auf, erwähnt einmal eine ab­wei­chende Mei­nung, ist aber weit­schweifi­ger und hat eine andere Reihen­folge der Punkte. Da der Muḫtaṣar knapp und klar ist, hier eine Über­setzung:

  1. liwāṭ gilt als erwiesen bei viermaligem Geständnis; bei ein-, zwei- oder drei­mali­gem wird mit taʿzīr gezüchtigt.
  2. Bedingung für ein (gültiges) Geständnis sind: Zurech­nungs­fähigkeit, Frei­willig­keit und Freiheit – beim Passiven wie beim Aktiven.
  3. liwāṭ gilt durch vier Zeugen als erwiesen: sind es weniger, so werden sie mit ḥadd [für Verleum­dung A.S.] belegt.
  4. Der Eindringende wird getötet, auch wenn er einen Minder­jähri­gen oder Un­mün­di­gen*lutet; der Min­derjährige wird gezüchtigt. Sind beide voll­jährig,[137] so werden sie getötet, auch wenn der Herr (w.: er) seinen Sklaven *lutet.
  5. Wenn der Sklave behauptet, gezwungen worden zu sein, entfällt die ḥadd-Strafe für ihn.
  6. Wenn ein ḏimmī einen Muslim *lutet, wird er getötet, auch wenn er nicht ein­ge­drungen ist.
  7. Wenn er einen seinesgleichen *lutet, steht es dem Imām frei: die Auf­er­le­gung (der Strafe) oder die Über­gabe an die Leute seiner Gemein­schaft, damit diese ihn mit dem ḥadd bestrafen.
  8. Das Eindringen macht die Tötung des Aktiven und des Passiven obliga­torisch, wenn er voll­jährig und bei Verstand ist, und dies gilt für alle Ein­dringenden.
  9. Der Verrückte wird nicht mit der ḥadd-Strafe be­legt, auch wenn er der Aktive ist – nach der richtigen Meinung.
  10. Der Imām hat die Freiheit, den Ein­dringer zu köpfen (qatl), zu steini­gen, von einer Mauer zu stürzen oder zu verbrennen.
  11. Er hat die Freiheit, die Verbren­nung mit einer anderen (Tötungsart) zu ver­binden.
  12. Wer nicht eindringt, dessen ḥadd-Strafe beträgt 100 (Hiebe) – nach der rich­tigen Meinung; der Freie und der Sklave werden dabei gleich behandelt.
  13. Wenn er es trotz der ḥadd-Bestrafung von 100 (Hieben) wiederholt, so wird er beim vierten Mal mit dem Tode bestraft – wegen der (großen) Ähnlichkeit (mit der ḥadd-Tat). [138]
  14. Zwei (Männliche), die nackt unter einer Decke zusammen sind und nicht bluts­verwandt, werden nach taʿzīr gezüchtigt: von 30 bis 99 Hieben.
  15. Wenn er es trotz der Wiederholung der taʿzīr-Züchtigung wiederholt, so gilt beim dritten Male die ḥadd-Strafe.
  16. Ebenso wird mit taʿzīr gezüchtigt, wer einen ġulām mit Leiden­schaft küßt. …

20. Die ḥadd-Strafe (für Tri­badie) wie für liwāṭ ent­fällt bei Reue vor der Beweis­erbringung, nicht aber danach. …

25. Die Kuppelei – also das Zusammen­führen von Männern und Frauen zum Zwecke von zinā oder von Män­nern und ṣibyān zum Zwecke von liwāṭ

Postklassische Juristen

Von den vielen Kommentaren zu Ḥillī sei nur der von Zainaddīn Aḥmad b. ʿAlī al-ʿĀmilī (gest. 866/1558) zu den Šarāʾiʿ al-islām [139] erwähnt; sein Anfang ist für die Definition von liwāṭ von Interesse:

Ḥillī: Was den liwāṭ angeht, so ist er das Koitieren von Männlichen [140] durch Ein­dringen (īqāb) oder auch anderes … – ʿĀmilī: Mit ‚Ein­dringen‘ meint er ‚Einführen‘ (idḫāl). Auch wenn die beiden (īqāb und id­ḫāl) hin­sicht­lich der rituel­len Waschung nicht gleich sind,[141] sind sie es hin­sicht­lich der recht­lichen Be­urteilung (ḥukm). Es wird als Ein­drin­gen ge­rech­net, wenn die Eichel [ganz A.S.] eindringt. Voll­ständiges Ein­dringen [des Penis A.S.] ist nicht [not­wendi­ges A.S.] Zeichen für liwāṭ. Anderes als Ein­drin­gen – wie Verkehr zwischen den Schenkeln und zwischen den Po­backen – wird als liwāṭ be­zeich­­net, auch wenn sich dessen recht­liche Be­urteilung [von dem ḥukm von liwāṭ im engeren Sinne] unter­schei­det. Die Anwen­dung [des Aus­druckes] ‚lūṭī‘ auf diesen Bereich … ist be­rech­tigt, auch wenn [der Aus­druck] ‚liwāṭ‘ [in erster Linie] auf Ein­dringen ange­wandt wird und ande­res als dies mit einem ande­ren Termi­nus be­legt wird [etwa mit tafḫīḏ]. Wenn ein besonderer ḥadd-[Straf­tat­bestand] dafür nötig wäre, hätte man dafür einen eigenen Aus­druck (iṭlāq ʿalā ḏālika) [nämlich einen termi­nus für alle ver­bote­nen Formen von waṭʾ ohne īqāb (tafḫīḏ bezieht sich ja genau ge­nommen nur auf den Ver­kehr zwischen den Schen­keln) A.S.] und die Berichte wandten diese Be­zeich­nung (liwāṭ) dar­auf an.[142]

Hier wird klar zwischen zwei Hand­lun­gen unter­schie­den, die unter­schied­lich bestraft werden sollen, aber beide als liwāṭ be­zeich­net werden können.[143]

Ansonsten besteht der „Kom­mentar“ des ʿĀmilī zum größten Teil aus Aus­­sprüchen der Imāme (manch­mal einer Kritik der Über­lieferer) und der Ansichten (relativ später) šīʿi­ti­­scher Juri­sten. Bemer­kens­wert ist eine Stelle zu den Tötungs­arten, weil hier „Akti­ver“ und „Pas­siver“ unter­schied­lich be­han­delt werden. Während der ātī getötet werden soll, so er muḥṣan ist, und sonst aus­ge­peitscht, soll der maʾtī in jedem Fall getötet werden (Ǧaʿfar aṣ-Sādiq laut Ḥamdān ʿUṯmān) .[144] 

Übrigens ist die Definition von muḥṣan bei den Imamiten praxisnäher als bei den Sun­ni­ten, während letztere nur einen legalen Geschlechtsverkehr verlangen, wie lange er auch zurückliegen mag, damit die härteren Strafen fällig werden, verlangen erstere, dass der Sün­der gesündigt hat, obwohl er in der Woche der Tat die Gelegenheit zu legalem Ge­schlechts­verkehr hatte, dass er also zum Zeitpunkt der Tat eine Ehefrau oder Sklavin hat, die in seiner Nähe lebt und die nicht durch Krankheit am Geschlechtsverkehr gehindert ist.

20. Jahrhundert

Muḥammad Ǧawād Muġnīya (1904–1979) bringt eine recht konzise Fas­sung des ǧaʿfa­riti­schen Stand­punktes, die sich nur durch das Weg­lassen der Bestim­mungen über Skla­ven, über­ tafḫīḏ und über­ Küssen von den alten Texten unter­scheidet.[145] Am Anfang und am Schluß betont er die Schwere der Sünde („verbotener denn zinā“, schlim­mere Folgen für die Gemein­schaft als die übrigen Ver­brechen“).

Das Strafgesetzbuch der Islami­schen Repu­blik Iran ist von beson­derem Inter­esse, läßt sich doch an ihm über­prüfen, in­wie­weit die Gesetz­gebung der Islami­schen Republik Iran den klas­si­schen Juristen folgt bzw. Neues als islamisch dekla­riert. Es gibt drei Texte, die ich zusammen dar­stelle, da die Unter­schiede zwischen ihnen gering sind. Am 6.1.1981, also zwei Jahre nach der Revolution, ver­öffent­lichte Inqilāb-i Islāmī einen in erster Lesung vom Parla­ment ge­billig­ten Ent­wurf zu einem Straf­gesetz­buch; die ‚Iran AG West­berlin‘ veröffentlichte davon eine deutsche Über­setzung.[146]
Am 3.6.1361/25.8.1982 verab­schiedete das Parla­ment ein Gesetz über­ ḥudūd, am 20.7.1361/12.10.1982 ein Gesetz über­ qiṣāṣ; Masoud­uz­­zafar Samimi Kia veröffentlichte im nächsten Jahr in Tehrān eine eng­lische Übersetzung von beiden.[147]

Das Gesetz sollte fünf Jahre gültig sein, wurde aber erst am 8.5.1370/ 30.7.1991 durch ein neues Strafgesetzbuch abgelöst, welches Silvia Tellen­bach 1995 „übersetzte“. Obwohl Tellen­bach in der Einleitung die Über­setzung von zinā mit „Unzucht“ und „Ehebruch“ als „ungenau[148] geißelt, gibt sie liwāṭ mit „Homo­sexualität“ wieder und musaḥaqa mit „lesbische Liebe“. Sie nennt die arabischen Termini nicht. Offensichtlich be­trach­tet sie „Homo­sexualität“ und „lesbische Liebe“ als unpro­blema­tisch.[149] Sie hält „Homo­sexu­ali­tät“ für „sexuelle Handlungen unter Männlichen“ und sie traut dem islami­schen Recht zu, „Liebe“ unter Strafe zu stellen.

ḥadd für liwāṭ

138/139/108 liwāṭ ist das Koitieren (waṭʾ) eines Männ­lichen (insān muḏakkar ) [150][durch Ein­dringen mit dem Glied oder Schenkel­verkehr (tafḫīḏ)].[151]

139/140/109
Wenn jemand einen Männlichen ko­itiert, sollen beide, der Aktive und der Passive, zur ḥadd-Strafe ver­urteilt werden. [ … ]
140/141/110
Die ḥadd-Strafe für liwāṭ [in der Form des Ein­dringens] ist die Tötung;
—/141/110
der šarīʿa-Richter entscheidet über­ die Tötungsart.[152]
141/142/111
Auf liwāṭ steht die Tötung, wenn Aktiver und Passiver volljährig und geistig gesund sind und freiwillig (handelten).
141/—/—
Deshalb zieht liwāṭ einer minder­jährigen, schwach­sinni­gen oder dazu ge­zwunge­nen Per­son nicht die Tötung nach sich.[153]

142/143/112
Wenn ein volljähriger und geistig gesunder Mann einen Min­derjähri­gen koitiert, soll der Aktive getötet werden, und der Passive soll nach dem Ermessen des Richters gezüch­tigt wer­den [mit bis zu 74 Peit­schen­hie­ben], so er nicht dazu gezwungen wurde.[154]

143/144/113
Wenn ein Minderjähriger einen andern Minder­jähri­gen koitiert, sollen sie nach dem Er­messen des Richters ge­züchtigt werden, es sei denn, einer von beiden wurde dazu gezwungen.
143/144/—
Anmerkung: Samenerguß während des Aktes erweist die Voll­jährigkeit des Aktiven.[155]

Art und Weise des Beweises von liwāṭ

A. Geständnis

144/145/114
Wenn der Aktive oder Passive viermal [vor dem Richter] gesteht, so ist liwāṭ für den Geständigen erwiesen.[156]

145/146/116
Das Geständnis ist gültig, wenn der Ge­stän­dige voll­jährig und geistig gesund ist und freien Willen und Vorsatz hat.
146/147/115
Wenn der Aktive oder der Passive weniger als viermal gesteht, so gilt liwāṭ nicht als bewiesen, aber der Richter soll nach seinem Ermessen züchtigen.
148/149/118
Wenn weniger als vier rechtschaffene Männer das bezeugen, so ist liwāṭ nicht be­wiesen, und die Zeugen sollen zum ḥadd für Verleum­dung ver­urteilt werden.
149/150/119
Das Zeugnis von Frauen beweist liwāṭ nicht – weder allein, noch zusammen mit Männern.
150/151/120
Der Richter kann ein Urteil auf Grundlage seines Wissens, das er auf all­gemein üblichem Wege[157] (az ṭarīq-i mutaʿārif) erlangt hat, fällen.[158]

Schenkelverkehr (tafḫīḏ)

151/152/121
Die Strafe für tafḫīḏ und Ähnliches began­gen von zwei Männlichen ohne Eindringen, ist 100 Hiebe für den Aktiven und den Pas­siven. Anmerkung: Wenn der Aktive kein Muslim ist und der Passive es ist, wird der Aktive getötet.[159]        
152/153/122
Wenn tafḫīḏ oder Ähnliches dreimal wieder­holt wird und die ḥadd-Strafe jedes­mal ver­hängt worden ist, sollen beide beim vierten Mal getötet werden.
153/154/123
Wenn zwei nicht blutsverwandte Männer ohne Not (d.h. ohne guten Grund) nackt unter einer Decke liegen, sollen sie [mit bis zu 99 Peit­schen­hieben] (nach dem Ermessen des Richters) gezüchtigt werden.
154/155/124
Wenn jemand eine andere Per­son lüstern küßt, soll er [mit bis zu 60 Peit­schen­hieben] (nach dem Ermessen des Richters) bestraft werden.[160]

155/156/126
Falls der Begeher von tafḫīḏ oder Ähnlichem oder der lūṭī seine Hand­lung – ob mit oder ohne Eindringen – bereut, bevor die Zeugen Zeugnis abgelegt haben, soll die ḥadd-Strafe fallen­gelassen werden, und falls er bereut, nachdem Zeugnis abgelegt wurde, soll die ḥadd-Strafe
nicht fallengelassen werden.

156/156[161]/125 Falls die Hand­lungen durch Geständnis bewiesen werden, kann der Richter vergeben [bei walī al-amr den Antrag auf Begna­digung stellen]. … … …

166/136
Kuppelei wird durch zweimaliges Geständnis bewiesen, sofern der Geständige voll­jährig, geistig gesund und freien Willens ist.

167/137
Kuppelei wird durch das Zeugnis zweier un­beschol­tener Männer bewiesen.

168/138
Die Strafe für Kuppelei ist siebzig [75] Peit­schen­hiebe und Verbannung vom Wohnort für einen vom Richter fest­zu­setzen­den Zeit­raum. Beachte: Die Strafe für Kuppelei (be­gan­gen) von einer Frau ist fünfund­siebzig Peit­schen­hiebe.

169/139
Verleumdung (qaḏf) ist jemandem zinā oder liwāṭ nachzusagen.

170/140
Die ḥadd-Strafe für qaḏf ist achtzig Peitschen­hiebe gleich ob ein Mann oder eine Frau verleumdet. [Erläuterung 1: Die Verhän­gung der ḥadd-Strafe für Ver­leum­dung hängt vom Antrag des Ver­leum­deten ab.] Beachte: Wer eine Per­son nicht wegen zinā oder liwāṭ ver­leum­det, sondern anderer Ver­gehen wie etwa Tri­ba­die, wird mit dreißig bis fünfzig [bis zu 74] Peitschen­hieben bestraft. … … …

174/143
Wer jemanden nachsagt, er habe zinā mit einer Frau oder liwāṭ mit einem Mann begangen, so ist das Ver­leumdung des Beschuldigten; er wird mit ḥadd bestraft. … … …

195/160
Wer jemanden mehr­mals wegen ver­schiedener Dinge wie zinā oder liwāṭ verleumdet, wird mit mehreren ḥadd-Strafen bestraft.

Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran folgt also dem klassi­schen fiqh in allen Einzel­heiten: selbst die Dis­kriminie­rung von Frauen und ḏimmīs bleibt – nur der Sklave wird nicht mehr erwähnt.

KLEINE MAḎĀHIB

1. ẒĀHIRĪYA

Charles Pellat schreibt im EI-Artikel liwāṭ, die meisten Nicht-Ḥam­ba­liten sähen für den ġair muḥṣan die Aus­peit­schung vor, und fährt fort: „man muß noch hinzufügen, daß manch­mal em­pfohlen wird, die vorge­sehene Strafe (100 Hiebe) nicht ganz anzu­wenden, und Ibn Ḥazm geht so weit, die Zahl auf 10 zu ver­ringern.[162]
Diese Bemerkung verkennt den Charakter des ḥadd und der Ẓāhir­īya (das sind ja die an den Wort­sinn Gebun­denen): eine ḥadd-Strafe zeichnet sich ja gerade durch ihre Fest­gelegt­­heit aus. Da sie auf den Rechts­ansprüchen Gottes beruht, kann an ihr nichts „verringert“ werden; es handelt sich hier nicht um taḫfīf. Ibn Ḥazm sieht statt ḥadd az-zinā taʿzīr von 10 Hieben vor. Schon im berühmten Ṭauq al-ḥamāma, spricht sich Ibn Ḥazm – à propos Straf­maß –gegen tazyīd fi l-iǧtihād aus und bringt einen ḥadīṯ nach Buḫārī, nach Yaḥyā b. Sulaimān, nach Wahb, nach ʿAmr, nach Bukair, nach Sulai­mān b. Yasār, nach ʿAbdar­raḥ­mān b. Ǧābir, nach seinem Vater, nach Abū Burda: „Ich hörte den Gesandten Gottes sagen: es werden nicht mehr als 10 Hiebe ausgeteilt außer bei den ḥudūd Allāh.“ (lā yuǧallad fauqa 10 aswāṭ illā fī ḥadd min ḥudūd Allāh).[163] Dieser ḥadīṯ (mit den gleichen ersten Gliedern des isnād) findet sich außer bei Buḫārī (ḥudūd bāb 43) auch bei Muslim (ḥudūd tr. 39[164]), bei Ibn Māǧa (ḥudūd bāb 32), Tirmiḏī (taʿzīr bāb 30) und bei Ibn Ḥam­bal (al-Qāhira, III 466, IV 45).[165]

Wie die Ḥam­baliten[166] scheinen die andalusischen Ẓāhiriten 10 als Höchstzahl an Hieben für alles angesehen zu haben, wo Qurʾān und Sunna nicht ausdrücklich eine höhere Zahl fest­legen. Was Pellat erwähnt, eine spezielle Beschränkung auf 10 bei liwāṭ, bedürfte bei Ẓāhiriten eines speziellen Textes und ein solcher ist mir nicht bekannt.

Ibn Ḥazms Muḥallā

Anders als die frühen Schulen (Ḥanafi­ten, Mālikiten) mußten die späten maḏā­hib von Anfang an ihre Methoden be­nennen und Bestim­mungen be­gründen. Dies gilt ganz besonders für die Gründungen des neunten Jahrhunderts, Abu Ǧaʿfar Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarīs (gest. 310/923) Ǧarīrīya und Dāʾūd b. ʿAlī al-Iṣfahānīs (gest. 270/884) Ẓāhirīya. Leider hat sich kein fiqh-Werk von aṭ-Ṭabarī erhalten – doch kann manspan seinem musnad Tahḏīb al-āṯār entnehmen, daß er das uqtulū-ḥadīṯ von Ibn ʿAbbās trotz der ihm bekannten Ein­wände als gesund ak­zeptier­te.[167] Für die Ẓāhirīya jedoch liefert Ibn Ḥazm ein schönes Bei­spiel für rationale Aus­einander­setzung mit dem Problem. In seinem Muḥallā heißt es:

Das Tun der Leute von Lot zählt zu den großen Sünden, dem Abscheu­lichen und Verbo­tenen, wie [das Essen von] Schweine­fleisch, Aas und Blut, sowie [das Trinken von] Wein, wie Unzucht und die übrigen Sünden. Wer etwas davon erlaubt, ist Ungläubiger und Poly­theist; jeder darf ihn töten und sich seines Besitzes bemächtigen.

Indessen sind die Menschen über­ die Strafe dafür uneins. Eine Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden im Feuer ver­brannt. Eine andere Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden auf den höch­sten Berg der Sied­lung gebracht und von ihm her­ab­gestürzt, und Steine werden auf sie herab­geworfen. [Wieder] andere sagen: Der Obere und der Untere werden gesteinigt, gleich ob sie muḥṣan sind oder nicht.
Eine [vierte] Gruppe sagt: Sie werden beide [mit dem Schwert] getötet. Eine [fünfte] Gruppe sagt: Der Untere wird gesteinigt, ob er muḥṣan ist oder nicht, und der Obere wird ge­steinigt, wenn er muḥṣan ist – falls nicht, wird er mit 100 Hie­ben gepeitscht (ǧald az-zinā). Eine [sechste] Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden ge­steinigt, wenn sie muḥṣan sind, und wenn sie es nicht sind, mit 100 Hieben gepeitscht wie bei zinā.
Eine [siebte] Gruppe sagt: Für sie gibt es keine ḥadd-Strafe und keine Hinrichtung (qatl), sondern sie werden mit taʿzīr gezüchtigt. ...[168]

Dann nimmt Ibn Ḥazm die Über­lieferungen einzeln auseinander, alle etwa so:


All dies haben sie gefälscht. Nichts davon ist richtig. … ist schwach … ist schwach … Auf­grund solcher Über­lieferungen ist es nicht erlaubt, das Blut eines Juden oder Christen zu vergießen – stehe er unter dem Schutz des Islam oder nicht. Und wie sollte es dann erlaubt sein, das Blut eines sündigen oder reuigen Muslims zu vergießen?

Wenden wir uns der Ansicht derjenigen zu, die da sagen: Sie werden beide gesteinigt, seien sie muḥṣan oder nicht. Sie begrün­den dies damit, daß Gott so mit Lots Leuten ver­fahren sei. Gott sagt: „Und wir ließen Steine von über­ein­ander­geschichtetem Ton auf sie regnen, bei deinem Herrn gezeichnet“ [XI 82f], sowie mit oben erwähnten Aus­sprüchen, etwa dem nach [… sieben Über­lieferer] nach dem Propheten, der sagte:
Wer das Tun der Leute Lots tut, steinigt den Oberen und den Unteren! Und er [Abū Hurairah] sagte dazu: muḥṣan oder nicht. Und durch all dieses haben sie Uneinig­keit ge­schaffen, wie wir berichtet haben; all dies ist kein Argument, wie wir nun zeigen werden – so es Gott gefällt. Was Gott mit Lots Leuten getan hat, so ver­hält es sich nicht so, wie sie sagen, denn Gott hat gesagt: „Die Leute Lots haben die War­nun­gen zu Lügen erklärt. Wir schickten einen Sand­sturm über­ sie [mit Ausnahme der Familie Lots. Die erret­teten wir zur Zeit der Mor­gen­dämmerung, indem wir Gnade walten ließen. So vergelten wir dem, der dankbar ist. Er hatte sie doch davor gewarnt, daß wir zupacken würden. Aber sie begegneten den Warnungen mit Zweifeln. Sie hatten ja das Ansinnen an ihn gestellt, er solle ihnen seine Gäste ausliefern. Aber wir nahmen ihnen das Augenlicht.] Sie sollten meine Strafe und meine Warnungen zu spüren bekommen.“ LIV 33–37] Und Gott sagte: „Wir werden dich und deine Familie retten, mit Aus­nahme deiner Frau. Sie gehört zu denen, die zurück­bleiben.“ [XXIX 33] und: „Sie (f.) wird treffen, was sie (pl.) getroffen hat.“ [XI81]

2. ZAIDITEN

In dem Zaid b. ʿAlī b. Ḥusain (gest. 122/740) selbst zugeschriebenen Maǧmūʿ al-fiqh[169] habe ich drei mehr oder weniger relevante Stellen entdeckt. Die unjuristische habe ich schon zitiert (vgl. S. 63); hier die beiden anderen:

Zaid berichtete mir nach seinem Vater nach seinem Großvater nach ʿAlī; er sagte, daß der Prophet gesagt habe: ‚Ich ver­fluche dreierlei, denn Gott der Erhabene hat sie ver­flucht: den mit seinen Untertanen handel­treiben­den Imām, den, der das Vieh koitiert, und die zwei Männlichen, von denen einer den anderen koitiert. [170]

Kapitel von der Strafe des lūṭī

Zaid berichtete mir nach seinem Vater nach seinem Großvater nach ʿAlī über­ zwei Männ­liche, von denen einer seinen Gefährten koitiert, daß die ḥadd-Strafe für sie beide die ḥadd-Strafe für den zānī ist; wenn sie beide muḥṣan sind, werden sie gesteinigt, wenn sie es beide nicht sind, werden sie ausgepeitscht.[171]

Klassische Juristen

Der nach 836/1432 gestorbene jemenitische Imām al-Mahdī Aḥmad b. Yaḥyā al-Murtaḍā setzt im Ġaiṯ al-midrār al-mufatti[172]
Beschlafen eines Mannes der in vaginam vel anum einer Frau gleich. Den einschlägigen Absatz seines Kitāb al-baḥr az-zaḫḫār eröffnet er mit einer Definition: al-liwāṭ ityān aḏ-ḏakar fi d-dubr (Sodomie ist das Eindringen des Penis in anum).[173] Es sei eine große Sünde (kabīra), seine Bestrafung sei mit Schande ver­bunden; er erwähnt den Ver­flucht-ḥadīṯ sowie einen, der in keiner der durch­suchten zwanzig sunniti­schen Samm­lungen ver­zeichnet ist: Wenn ein Mann einen Mann pene­triert, sind sie beide Hurer (zāniyān).
Zur Strafe schreibt er: Sein ḥadd ist der ḥadd für zinā in Analogie (qiyāsan). Der zu­rech­nungs­fähige, freiwillig handeln­de, selbst wenn er noch keinen legalen Geschlechts­verkehr gehabt hat (wa-lau bikran), wird hinge­richtet. über­ die Tötungsart besteht Un­einigkeit. Wer seine Frau oder Sklavin nicht-vaginal beschläft, wird nicht bestraft.

3. ISMAʿĪLITEN

Der Jurist der Ismāʿīliten, der qāḍī Abū Ḥanīfa an-Nuʿmān b. Muḥammad b. Man­ṣūr (gest. 363/974), schreibt in seinem Kitāb al-iqtiṣār: „Und das Tun des Volkes von Lūṭ wird wie zinā be­han­delt: der Aktive und der Pas­sive werden ge­steinigt, so ein­ge­drungen wurde.[174]

HÄRETIKER

Aus drei Gründen werden die islamischen Häretiker meist über­gangen: weil Geschichte von Siegern auf­ge­zeichnet wird, weil diese fest­legen, was Islām ist, und, weil man oft in Ungedanken Heutiges in die Ver­gangenheit ‚verlängert‘ so wird etwa aus der Šīʿa etwas genuin Per­sisches und aus Per­sien der Hort der Šīʿa. Obwohl ich ihnen Unrecht tue, wenn ich sie ‚Häretiker‘ nenne und die Quellen der ‚Sie­ger‘ benutze, will ich sie doch nicht ganz über­gehen: die vielen šīʿiti­schen ‚über­treiber‘, zumal vermutet werden darf, daß der Šīʿa vom 9. bis 13. Jahr­hundert die Mehr­heit der islamischen Bevölke­­rung Syriens und des Iraks anhingen (und wohl auch der islāmisierten Türken).

1. AUSGESTORBENE GRUPPEN

Mez schreibt in der Renaissance des Islams über­ eine von Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. ʿAlī Ibn aš-Šalmaġānī (hinge­richtet 322/934) ge­gründete Sekte: „Auch die Knaben­liebe habe man für notwendig erachtet, damit so der Höher­stehende den Niedrigeren mit seinem Lichte durch­dringen könne.[175]

Auch Louis Massignon erwähnt Šalmaġānī im Zusam­men­hang dieses šujet scabreux“;[176] er gehört wohl zu ǧewissen Initiations­zirkeln von Extrem­šīʿiten, [in denen die] Vor­stellung der Ver­än­derung der Gestalt [bei der Auf­erste­hung so inter­pre­tiert wurde, daß] die auf­erstan­denen Erwähl­ten ihr Geschlecht frei wählen könn­ten. Diese Doktrin zeichnet sich bei den Nuṣ airī ab, deren Initia­tion nikāḥ heißt und für die alle Auf­erstan­de­nen männ­lich sein werden (Fāṭima wird ‚Fāṭir‘ ): dies stattet die Gläubigen (beider Geschlech­ter) der Sekte mit einem aktiven Herm­aphro­dis­mus aus, … sogar zwei Sorten von Jung­fräulichkeit zu ent­jung­fern, männliche und weib­liche ‚un­durch­bohrte‘ Perlen, die extra dafür geschaffenen ḥūrīs und ġil­mān (oder wildān, die die Tradition mit den Söhnen der mušrikīn identi­fi ziert). Umgekehrt stellen sich einige Qarmaten [das himm­liche Leben] als passive Herm­aphrodi­ten vor, was sie für ‚über­legen‘ (afḍal) halten, weil es das Schicksal der ḥūrīs und ġilmān sei, … [177]

Darstellung imāmitischer Häresiographen

Heinz Halm hat für seine Arbeit Die islamische Gnosis [178] vor allem zwei imāmitische Häresiographen herangezogen: al-Ḥasan b. Mūsā an-Nau­baḫtī (gest. um 310/920) mit den Firaq aš-Šīʿa [179] sowie Saʿd b. ʿAbdallāh al-Qummī, der die hier zitierten Passagen in sein Kitāb al-maqālat wa-l-firaq[180] (verfaßt vor 292/905) über­nommen hat.

über­ die Ḫaṭṭābīya: „Eine Sekte von ihnen sagte, Ǧaʿfar b. Muḥammad sei Gott und Abu l-Ḫaṭṭāb ein Prophet und Gesandter, den Ǧaʿfar gesandt und dem zu gehorchen er befohlen habe. Sie erklärten alle verbotenen Dinge wie Unzucht, Sodomie (liwāṭ), Diebstahl und Weintrinken für erlaubt …[181] Ferner: „eine Sekte lehrte, … das (gött­liche) Licht war in Ǧaʿfar, dann ver­ließ es ihn und ging in Abu l-Ḫaṭṭāb ein, Ǧaʿfar aber wurde ein Engel; dann ver­ließ es Abu l-Ḫaṭṭāb und trat in Maʿmar ein, während Abu l-Ḫaṭṭāb zum Engel wurde; so war nun Maʿmar Gott. Der Sohn des Milch­händ­lers [Ibn al-Labbān] trat hervor und warb für Maʿmar und sagte: ‚Er ist Gott‘ und betete zu ihm und fastete. Er erklärte alle Begier­den, ob erlaubt oder ver­boten, für frei … Er sagte: ‚Gott hat dies doch nur für seine Geschöpfe er­schaf­fen; wie könnte es ver­boten seinö‘ Und er erklärte Unzucht, Dieb­stahl, Wein­trinken … und Geschlechts­ver­kehr unter Män­nern nikāḥ ar-riǧāl für erlaubt.[182]

Die ‚Verfünffacher‘ sagten: „Die ver­botenen Dinge – Hurerei, Wein­trinken, Dieb­stahl, Sodomie (liwāṭ) und alle schweren Sünden … – all dies bedeute [lediglich bestimmte] Männer und Frauen zu meiden und zu fliehen.[183] Weiter: „… sie verwarfen die Almosen­steuer, die Pilger­fahrt und die übrigen Pflichten und lehrten, die ver­botenen Dinge wie Frauen und Knaben (ġilmān) seien erlaubt. Als Ent­schuldigung dafür führten sie Gottes Wort [XLII 50] an: “… oder sie zu Paaren macht – männlichen und weiblichen.[184]

2. EINE ÜBER­LEBENDE GRUPPE: DIE NUSAIRĪ

Da alle über­lebenden Sekten Geheim­religionen geworden sind, ohne Mission und mit Endogamie­gebot, ist über­ die Yazīden, die Ahl-i Ḥaqq, selbst über­ die große Gruppe der türkischen Aleviten nicht viel Sicheres bekannt. Und dar­über­ die Religion der Nuṣairī[185] (etwa 1 Million, haupt­säch­lich in Syrien, kleine Gruppen im Libanon, im heute türki­schen Sanǧaq von Iskan­darūn, in Palästina und im ʿIrāq) wenig Neu­zeit­liches bekannt ist, ist es sinnvoll, wieder die imāmi­tischen Häresio­­­graphen heran­zu­ziehen; sie schrei­ben über­ den Aus­gangs­punkt (wenn auch nicht den Organi­sa­tor) der Sekte, über­ Muḥam­mad b. Nuṣair an-Numairī: „Er lehrte die Seelen­wanderung und die Über­treibung bezüglich der Per­son des Abu l-Ḥasan [ʿAlī al-Hādī al-ʿAskarī], schrieb ihm Gött­lich­keit zu, lehrte, daß die verbotenen Dinge erlaubt seien, und erklärte den Anal­ver­kehr unter Män­nern (nikāḥ ar-riǧāl) für erlaubt, denn er behaup­tete, dies sei ein Zeichen von Selbst­erniedrigung und Demüti­gung.[186]

Auch Ḥamza b. ʿAlī b. Aḥmad (gest. 410/1019), einer der Gründer der Drusen-Religion schreibt, die Nuṣairī hätten liwāṭ erlaubt.[187]

Im Lichte dieser Berichte kann angenommen werden, daß die Initiation, die jetzt eine sym­bolische Ver­mählung beinhaltet, in der ersten heißen Phase der Religion anders ablief. Über­ heutige Verhältnisse erfahren wir bei Halm:

[Das Ritual der Initia­tion] besteht aus zwei Haupt­teilen, die sieben oder neun Monate aus­ein­ander­liegen und schon mit dieser Zeit­spanne ihren Sinn ent­hüllen: sie ent­sprechen der Zeu­gung und der Geburt eines gnosti­schen Menschen.

Der äußere Rahmen … ist derselbe wie bei den übrigen Festen: eine Versammlung der Gemeinde im Haus eines Gast­gebers – auf den Dörfern wohl auch im Freien –, präsidiert von drei Scheichen: dem Imām, einem Naqīb und einem Naǧīb. Der Adept (tilmīḏ, wörtlich: Schüler) im Alter von acht­zehn bis zwanzig Jahren wird eingeführt von einer Art Paten, dem „Herren“ (sayyid) … diesem wird der Adept … regel­recht anvermählt (nikāḥ), genauer: die noch un­erleuch­tete Seele des Adepten wird mit der Seele… des bereits erleuchteten Paten vermählt und zeugt mit dieser eine neue erleuchtete Seele …

Die zweite große Zeremonie, die „Geburt“, … besteht im wesent­lichen aus der Ver­eidi­gung des Adep­ten, der sein Leben dafür zum Pfand setzt, daß er die Geheim­nisse der Lehre nicht ver­raten werde … Der Geburt folgt eine zwei­jährige Phase des „Stillens“ (raḍāʿ), d.h. der Unterweisung in die Lehre… [188]

NOTEN

[134] Teheran: Dār al-Kutub al-Islāmīya, S. 219–222.

[135] al-Qāhira: Wizārat al-Auqāf, 21958, S. 296.

[136] Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 348; Tabrīz, 1294/1877, ohne Zäh­lung (fol.148a–b).

[137] Ich über­setze bāliġ durchgehend mit ‚volljährig‘ , und nicht mit ‚reif/ mannbar‘ , obwohl nicht die Jahre, sondern der Körper entscheidend ist.

[138] Andere sehen die Tötung schon beim dritten Mal vor.

[139] Zainaddīn aš-Šahīd aṯ-Ṯānī al-ʿĀmilī, Šarh Šarāʾiʿ al-Islām, o.O., 1273/1856–57 (Stein­druck).

[140] Man beachte, daß die Ǧaʿfarīya modernen begrifflichen Grenzziehungen näher steht als die anderen Schulen: Sodomie schließt Analverkehr mit Frauen nicht ein, und Sodomie und Tribadie werden im gleichen Kapitel behandelt.

[141] Solange der „Ring der Beschneidung“ nicht im Körper des Objekts verschwunden ist, ist die rituelle Waschung nicht nötig.

[142] Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 349; Tabrīz, 1294/1877, fol. 148a.

[143] Als Drittes wäre leiden­schaft­liches Küssen ohne Koitus zu unter­scheiden – vgl. Punkt 16 des Muḫtaṣar-Kapitels.

[144] Bemerkens­wert, daß Prä- und Post­klas­siker Wider­sprüch­liches ungeklärt neben­einander stehen lassen können, und daß ʿĀmilī glaubt, Ḥillī korri­gieren zu müssen. Ḥillī schreibt nämlich in den Šarāʾiʿ nicht nur, daß bei tafḫīḏ Freier und Sklave gleich­gestellt sind, sondern auch Muslim und Ungläubiger. Dies, wendet Ḥillī ein, sei nur so, wenn der Muslim der fāʿil sei (dann werden sie beide ausgepeitscht); sei aber der Ungläubige der fāʿil, so werde er getötet. Dabei über­sieht ʿĀmilī zwei weitere Fälle, nämlich den, wenn beide Muslime oder wenn beide Ungläubige sind, und hier besteht kein Unter­schied zwischen den ‚Paaren‘.

[145] Fiqh al-Imām Ǧ aʿfar aṣ-Sādiq , Bairūt: Dār al-ʿIlm, 1966, VI S. 275–279.

[146] Iran AG: Vier Jahre Iranische Revolution, Berlin, 1981, S. 37f.

[147]Kia: Law of Hodoud and Qasas, Teheran: Pars Associates, 1983, S. 32–34.

[148] Tellenbach: Straf­gesetze der Islami­schen Republik Iran, Berlin: de Gruyter, 1996 (Samm­lung außer­deutscher Straf­gesetz­bücher in deutscher Übersetzung CVI), S. 12.

[149] Der Wirrwarr von Tellenbach ist mit­leids­erregend: hadd al-liwāṭ über­setzt sie mit „die hadd-Strafen wegen Homo­sexualität“, mit „die hadd-Strafe für H.“, und mit „die hadd-Straftat der H.“. In allen Sätzen, in denen es konkret wird, über­setzt sie liwāṭ nicht mit „Homo­sexualität“, sondern mit „homo­sexueller Verkehr“ (4x), „der homo­sexuelle Verkehr“ (1x), „ein homo­sexueller Verkehr“ (2x), sowie einmal mit „Teil­nehmer des homo­sexuellen Verkehrs“. Das einzige Mal, daß Tellenbach liwāṭ (außer in der Verbindung hadd al-liwāṭ) mit „Homo­sexu­alität“ über­setzt, kommt direkt nach der einzigen Stelle des Gesetzes, an der wirk­lich das persi­sche Wort für „homo­sexuel­les Verhalten“ (hamǧins-bāzī) steht, das sie mit „homo­sexuel­les Spiel“ über­setzt, was vermuten läßt, daß sie nicht erkannt hat, daß dieser Neologismus in Anlehnung an „Tanzknaben-Liebhaberei“ (bačče-bāzī) geprägt wurde, und nicht weiß, daß bāzī zu „Tun“ verblaßt ist. Übrigens findet sich diese Stelle im Abschnitt „Tribadie“, nicht im Abschnitt „hadd al-liwāṭ“.

Auch die Gegenprobe erweist die Wertlosigkeit der Tellenbach’schen Übersetzung: „homo­sexuellen Ver­kehr“ benutzt sie nicht nur für liwāṭ (Arsch­­ficken), sondern, beim Art. 112, auch für waṭʾ (Koitieren, Besteigen, Bespringen), was sie beim Art. 108 mit „geschlecht­licher Ver­kehr mit“ über­setzt.

Tellenbach faselt in der Einleitung von der „Aufhebung der Unter­scheidung von aktivem und passivem Part­ner [bei der weib­lichen Homo­sexualität]“. Hat sie nicht ver­stan­den, daß mit der Aktion (fiʿl) nicht irgend­eine Tat, son­dern genau „Einführen des Penis“ ge­meint ist, oder was will sie mit „Auf­he­bung“ sagen?

[150] Tellenbach schreibt statt „eines Männ­lichen“ (was geschlechts­unreife Knaben und puber­tierende Jüng­linge ein­schließt), „mit einem Mann.

[151] Teile in eckigen Klammern wurden 1991 eingefügt. – Nach der oben zitierten Definition al-ʿĀmilīs darf als un­problema­tisch gelten, daß der Gesetz­geber begrifflich 1981/82 anders vorging als 1991; der Sache nach ändert sich hierdurch nichts; deshalb die Ergänzung im über­nächsten Artikel.

Tellenbach über­setzt tafḫīḏ mit „beischlafähnliche Hand­lungen“, was in der deutschen Rechts­sprechung pedicatio um­faßt – denn dieser ist dem eigentlichen (vaginalen) Beischlaf ja recht ähnlich –, was aber tafḫīḏ gerade nicht ist. 1985 hatte die selbe Autorin es mit „petting“ wiedergegeben. (Gutachten des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Inter­nationales Straf­recht vom 13.11.1985)

[152] Der Satz über­ die Tötungsart wurde 1982 eingefügt.

[153] Der zweite Satz fiel 1982 weg.

[154] Dieser Para­graph erweist, daß die ‚vor­nehme‘ Erset­zung des transiti­ven „jeman­den ficken“ durch „Geschlechts­ver­kehr haben mit je­mandem“ (oder gar „homo­sexuellen Ver­kehr haben mit“) nicht eine Frage des Stils ist, son­dern eine der Richtig­keit. Nach beiden pub­lizier­ten deutschen Übersetzungen würde ein Min­der­jähri­ger, der einen andern Min­der­jäh­ri­gen fickt, gezüchtigt (§ 143/4/113), fickte er aber einen Er­wachse­nen, so würde er getötet: „142 Wenn ein er­wachse­ner und geistig gesun­der Mann mit einer min­der­jährigen (männ­lichen) Per­son Geschlechts­ver­kehr hat, so soll der aktive Partner getötet werden …“ bzw. „Art. 112 Hat ein Mann, der mündig und geistig gesund ist, mit einem Un­mün­di­gen homo­sexuel­len Ver­kehr, so wird … der passive Teilnehmer … mit einer taʿzīr-Strafe … bestraft.“ Im per­si­schen Original verkehren nicht zwei miteinander, sondern der Voll­jährige fickt den Min­der­jähri­gen. In der Fas­sung der Iran AG muß man sich aber denken, daß „der aktive Part­ner“ der Voll­jähri­ge ist, und bei Tellen­bach muß man sich denken, daß „der passive Teil­nehmer“ der Minderjährige ist.

[155] Wieso nur die Voll­jährigkeit des Aktiven? Fehlt bei Kia.

[156] In der Fassung der ersten Lesung fehlt der Hinweis darauf, daß das Geständnis nur für den Geständigen gilt (für den ‚Partner‘ ist es nur eine – von vier nötigen – Zeugen­aussagen).

[157] Kia über­setzt „derived from rational methods“, die Iran AG „auf der Basis logi­scher Über­legungen“.

[158] In Deutsch­land können iranische Homo­sexuelle Asyl bekommen, weil am 15.3.88 das Bundes­verwaltungs­gericht (9 C 278/86) – wie schon der Hessische Ver­waltungs­gerichts­hof (10 OE 69/83) – einem Gut­achten von Tellenbach folgte, dem gemäß diese Bestimmung in der Islamischen Republik als Novum „eingeführt worden“ sei. Dabei kann es seit 1872 auch ein orienta­lischen Sprachen Unkun­di­ger besser wissen; in Droit musulman, Recueil de lois concernant des musul­mans schyites schreibt Amédée Querry: « Le magistrat peut, de sa propre autorité, con­damner tout individu qu’il sait coupable de sodomie. Selon toute évidence, ce droit est accordé à tout magistrat, imâm ou autre. » (II S. 497) So steht es schon bei Ḥillī (Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 348) und Muhammad Ǧawād Muġnīya geht in Fiqh al-Imām Ǧaʿfar aṣ-Sādiq ausführ­lich darauf ein (VI 276f.).

[159] Die Berliner Übersetzung lautet: „Wenn die homo­sexuellen Handlungen [sic] nicht zum Eindringen des Gliedes führten, sondern im Reiben der [sic] Schenkel und der Hintern bestanden, so …“ Dazu ist zu bemerken: nicht die Schenkel werden gerieben, sondern das Glied zwischen denselben.

[160] Kia hat „without lust“ – wohl ein Übersetzungsfehler.

[161] 1982 war das nur ein Artikel. Deshalb ab 165 nur noch zwei Nummern: 1981 und 1982 haben dieselbe.

[162] Encyclopédie de l’Islam V S. 783. Übrigens gibt Pellat seine Quelle nicht an; es dürfte sich um die von ihm zuvor erwähnte Nihāyat al-arab von an-Nuwairi, wo II S. 207 steht: wa-ammā maḏhab Ibn Ḥazm az-Ẓāhirī fa-innahū lā yadribu fi l-liwāṭ fauqa 10 aswāṭ.

[163] Ṭauq al-hamāma, Hg. Blachère, Alger, 1949, S. 366; Über­s., S. 367.

[164] Sahīh, al-Qāhira, 1955, III 1332, 1333

[165] Übrigens hat nicht Buḫārī, sondern Muslim den Spruch in der von Ibn Ḥazm zitierten Form. Buḫārī hat – wie at-Tirmiḏī, Ibn Māǧa und Abū Dāūd –ǧaladāt statt aswāṭ, Muslim hat nur vier Glieder mit den andern gemein; diesen sind sechs gemeinsam.

[166] W. Heff ening taʿzīr in Enzylopaedie des Islam, Leipzig, 1935, IV S. 769.

[167] Tahḏīb al-āṯār, Musnad ʿAbdallāh Ibn ʿAbbās, al-Qāhira, 1982, S. 551–558.

[168] al-Muhallā, bāb 2299; Miṣr: al-Munīrīya, X, 1347/1953, S. 380ff.; Miṣr: Maṭbaʿat al-Imām [1964], XI S. 460ff.

[169] R. Strothmann („Das Problem der literarischen Per­sönlich­keit Zaid b. ʿAlī“ in Der Islam XIII, 1923, S. 18ff.) hält Abū Ḫālid al-Wāsiṭī (spätes achtes Jahrhundert) für den Autor. Dagegen Sezgin in GAS I, Leiden, 1967, S. 552ff.

[170] Hg. Eugenio Griffini: Corpus Iuris, Milano: Ulrico Hoepli, 1919, Nr 543.

[171] ebenda, Nr 813

[172] al-Mahdī Ibn al-Murtadā: al-Ġaiṯ al-midrār al-mufattih li-Kamāʾim al-azhār fī fiqh al-aʾimma al-aṭhār zusammen mit dem Kommentar des Ibn Miftāh, Kitāb al-muntazaʿ, al-Qāhira, 1341–42/1922–23, IV S. 336.

[173] al-Mahdī Ibn al-Murtadā: Kitāb al-bahr az-zaḫḫār zusammen mit dem Kommentar des Ibn Bahrān, Kitāb ǧawāhir al-aḫbār wa-l-āṯār, V, al-Qāhira: Maṭbaʿat as-Saʿāda, 1368/1949, S. 143f.

[174] Kitāb al-iqtiṣār, Hg. Muhammad Wahīd Mīrzā, Dimašq, 1957, S. 145.

[175] Adam Mez, a.a.O., S. 291; vgl. Martin Mordechai Zvi Steiner: „Zur Geschichte der theologischen Bewegungen im Islam“ in ZDMG LII, 1898, S. 472; Ibn al-Aṯīr: Kāmil für das Jahr 322h. (z.B. Bairūt: Dār Sādir & Dār Bairūt, 1386/1966, VIII S. 294).

[176] La passion d’al Hosayn.., Paris, 1922, S. 798 n. 1, S. 778 n. 1 = La passion de Husayn …, Paris, 1975, III S. 254, nn. 1, 5.

[177] ebenda, 1922, S. 690; 1975, S. 177.

[178] Zürich: Artemis, 1982.

[179] Hg. Helmut Ritter: Die Sekten der Schīʿa, İstanbul, 1931 (Bibliotheca Islamica IV).

[180] Tehran: Atai, 1963.

[181] Qummī, S. 51; Über­s. Halm, S. 203.

[182] Qummī, S. 53; entspr. Nau­baḫtī, S. 39; Halm, S. 209.

[183] Qummī, S. 57; Über­s. Halm, S. 221. Inhalt der eckigen Klammer von Halm.

[184] Qummī, S. 92; entspr. Nau­baḫtī, S. 71; Halm, S. 236.

[185] Sowohl „Nuṣairī“ wie „Alawiten“ sind Fremd­bezeichnungen; erste hat aber den Vor­teil, weder für die derzeitige marok­ka­nische Herrscher­dynastie, noch diverse turuq dieses Namens, noch für die – mit den Nuṣairī oft in einen Topf geworfenen – türki­schen Bektaşiten verwendet zu werden.

[186] Qummī, S. 100; entspr. Nau­baḫtī, S. 78; Halm, S. 282.

[187] Baron Silvestre de Sacy: Exposé de la réligion des druzes, tiré des livre réligieux de cette secte, II, Paris: Impr. Royale, 1838, S. 570.

[188] Heinz Halm, Die islamische Gnosis, Zürich: Artemis, 1982, S. 303f.

liwāṭ im fiqh 04 ‒ Sunniten

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Recht, Soziologie on 12.Januar 2010 at 09:44

LIWĀT IM FIQH

Die meisten orien­talisti­schen Äußerungen zu liwāṭ im fiqh sind knapp, summa­­risch und falsch. Erich Pritsch und Otto Spies schrei­ben etwa:
„wider­natür­licher Geschlechts­­verkehr [ist] mit keiner bestimm­ten Strafe bedroht, [seine] Bestra­fung ist viel­mehr dem Ermes­sen des Rich­ters über­­lassen.“ [71]

Claude Cahen  schreibt: „Unberührt von der Be­schrän­kung der gesetz­lichen Ehe­schlie­ßungen blieb die Freiheit des Mannes, Ver­bin­dun­gen mit Sklavin­nen einzu­gehen oder homo­­sexuelle Be­ziehun­gen zu unter­­halten, worin die aus der Antike stam­menden Sitten­­an­schau­­ungen eine fast normale Ergän­zung der ehe­­lichen Ver­bindung sahen.“ [72]

Emile Tyan: „Sitt­lichkeits­ver­brecher wurden im all­gemeinen kastriert.[73]

Etwas brauchbarer ist die Stelle in Nikolaj Egorovič von Tornauws Das Moslimische Recht [74]:
„Wenn zwei voll­jährige Per­sonen mit­einander Päd­erastie, lewote, trei­ben, so trifft beide die Todes­­strafe, ketl. (Andere Sekten. Die Scha­fi­iten bestrafen die Päd­erastie mit dem redjm; die Azemiten stellen es dem Imām anheim, die Art der Todes­strafe zu be­stim­men.) Wenn ein Voll­­jähri­ger mit einem Minder­jährigem …“

Lodewigk Willem Christiaan van den Berg stellt in seiner Darstellung der Prinzipien des Musli­mischen Rechts fest: „Nach Šāfiʿī fallen Sodomie und Bestiali­tät unter zinā. Nach Abū Ḥanīfa sind diese Ver­bre­chen beim ersten Mal mit taʿzīr strafbar, nach Rückfall mit dem Tode.[75]

Erwin Gräf bleibt zu allgemein:

Arten von wider­natür­licher Unzucht, Sodomie, Bestialität, Ver­kehr mit einer Toten etc. werden (am) … Unzuchts­begriff ge­messen: sie werden ihr teils gleich­gesetzt, teils als schlimmer, teils als harm­loser ange­sehen. Das ent­schei­dende Kri­te­rium der Be­urtei­lung ist die Frage, was als das Gra­vie­rende der Un­zucht ange­sehen wird. Wer z.B. die Kor­rumpie­rung geordneter Fort­pflan­zungs­ver­hält­nisse durch sie für relevant hält, wird die ge­nannten Formen nicht als Unzucht ansehen und sich mit einer Ermes­sens­strafe des Richters zu­frieden geben; er denkt allenfalls daran, daß Der­artiges Ursache für sin­kende Gebur­ten­ziffern sein kann und ver­gleicht es mit dem coitus inter­ruptus und der Onanie. Wer bei Sodomie an die (im Koran erzählte) Geschichte von Lot und den Sodomi­tern und die gött­liche Be­stra­fung der Letzte­ren (Koran 7,78ff) denkt, wird sie wie Un­zucht oder noch stren­ger (even­tuell sogar, wie der erste Khalife Abu Bekr, durch Ver­brennen) be­stra­fen.[76]

Léon Bercher schreibt in Les délits et les peines de droit commun prévu par le Coran:

… bei den Māliki­ten und Šāfiʿīten ist die Sodomie lato sensu eine Art zinā. Die Ḥana­fi­ten betrachten sie nicht als solche, belegen sie nicht mit einer ḥadd-Strafe, son­dern nur mit einer ins Er­mes­sen des Richters gestell­ten Züch­tigung. Abū Yūsuf und Muḥammad [aš-Šaibānī] waren jedoch der ent­gegen­gesetz­ten Mei­nung. Andere ḥana­fi­­tische Auto­ren unter­­schei­den zwischen Päd­erastie und Sodomie mit einer Frau – wobei letztere zinā dar­stellt, sofern es mit einer fremden Frau be­gangen wurde. … Die Ḥana­fi­ten recht­fer­tigen ihre Mei­nung zur Päd­erastie mit dem wohl­bekann­ten ḥadīṯ: ‚Das Blut eines Muslims kann nur aus drei Gründen rechtens ver­gossen werden: zinā für den muḥṣan,[77] Abfall vom Glau­ben, Tötung eines Menschen außer bei Hin­rich­tung.‘ Und da man auf diesem Gebiet vor­sichtig sein muß, darf man Päd­erastie nicht als zinā fassen. Die Anhän­ger der gegen­teiligen An­sicht berufen sich auf einen anderen ḥadīṯ …, dem­zu­folge der Pro­phet gesagt habe: ‚Die, die Sodomie begehen, steinigt den Aktiven und den Passiven, steinigt sie beide.‘ Aber die Ḥana­fi­ten er­klären diese Tradition natür­lich für schwach.[78]

Die bislang einzige etwas längere islamkundliche Äußerung zu liwāṭ im fiqh stammt aus dem EI-Artikel Pellats:[79]

Der ḥadīṯ bezüglich der Strafe des lūṭī dient im all­ge­meinen den Mei­nun­gen der Juristen als Grund­lage, aber es entwickelt sich eine Unter­­schei­dung je nach­dem, ob der Schul­dige muḥṣan ist oder nicht, das heißt ungefähr, ob er ver­heiratet ist [sic] oder Jung­geselle. Ibn Ḥam­bal und seine Schüler scheinen die Strengsten zu sein, denn sie hal­ten dafür, daß der Schul­dige in jedem Fall durch Steini­gung zu töten sei, während die anderen Schulen sich im all­gemeinen mit Aus­peit­schung mit oder ohne Ver­ban­nung begnügen, wenn er nicht muḥ­ṣan ist; man muß noch hin­zufügen, daß manchmal empfohlen wird, die vor­ge­sehene Strafe (100 Hiebe) nicht ganz anzu­wenden, und Ibn Ḥazm geht so weit, die Zahl der zu verab­reichen­den Hiebe auf 10 zu ver­ringern. Diese Unter­­schiede ergeben sich ganz auto­ma­tisch aus der Un­sicher­heit, die die Fest­le­gung der Strafe für Hurer (…) um­geben, aber sie geben auch eine Nei­gung zur Nach­sicht wider; zusätz­lich ist der Beweis nur schwer zu er­brin­gen und so ist der Voll­zug der Strafe äußerst selten.[80]

Ob die aḥādīṯ den Mei­nun­gen der Juristen als Grund­lage dien­ten oder ob die Mei­nun­gen der Juristen ge­rade erst die „Suche“ nach ent­spre­chenden aḥādīṯ stimu­lier­ten, sei dahin­ge­stellt.

1. DIE ḤANAFITEN

Bergsträßer schreibt: „Für widernatürlichen Geschlechts­­verkehr“ gilt taʿzīr;[81] Schacht schreibt an der ent­sprechen­den Stelle seiner ‚Bearbeitung‘ :

Whether ḥadd is applicable or not is disputed … for homo­­sexuality. If … ḥadd is not applicable, then at least taʿzīr is. [82] (erklärende Über­­setzung: Ob es für Homo­­sexua­li­tät eine fest­gelegte Strafe gibt, ist um­stritten. Falls eine fest­gelegte Strafe nicht an­ge­wendet werden kann, kann wenigstens eine ins Be­lieben des Rich­ters gestellte Züch­tigung ver­hängt werden – wobei er unter­halb des Strafmaßes der fest­gelegten Strafe bleiben soll.[83])

Abū Ḥanīfa (gest. 150/767) spielt in dem nach ihm benannten maḏhab eine kleinere Rolle als die Namens­patrone der anderen maḏāhib. Zum einen kann man seinen Lehrer, Ḥam­mād b. Abī Sulaimān (gest. 120/738) als Gründer ansehen. Zum andern stammen die ersten Werke der Schule von seinen beiden Schülern Abū Yūsuf Yaʿqūb (gest. 182/798) und Muḥam­mad b. al-Ḥusain aš-Šaibānī (gest. 189/805).[84]
Die Stelle in Šaibānīs al-Ǧāmiʿ aṣ-ṣaġīr lautet: „Ein Mann, der das Tun des Volkes von Lūṭ tut, ist zu züch­tigen (nach Gut­dünken des Rich­ters) und im Ge­fäng­nis zu halten.[85]

Klassische Juristen

Das erste große systematisierende, analysierende ḥana­fi­tische fiqh-Werk, den Mabsūṭ, verfaßte Šamsad­dīn Abū Bakr Muḥam­mad as-Saraḫsī (gest. 500/1106 oder früher); es han­delt sich um einen Kom­mentar zum Kāfī des Ḥākim aš-Šahīd (gest. um 400/1010), der seiner­­seits eine Zu­sam­men­fas­sung der Werke Šaibānīs ist. Zuerst ein Zitat aus dem Kāfī: „Wer eine fremde Frau in ano koitiert, wird nach Abū Yūsuf und Muḥammad [aš-Šaibānī] mit ḥadd bestraft, nach Abū Ḥanīfa mit taʿzīr. Des­gleichen sind nach Abū Ḥanīfa bei liwāṭ beide [der Pene­­trierer und der Pene­­trierte] mit taʿzīr zu züchtigen, und bei den beiden [Abū Yūsuf und Šai­bānī] gilt für beide die ḥadd-Strafe für zinā: sie werden beide gesteinigt, wenn sie muḥṣan sind, und wer­den beide aus­­ge­­peitscht, sind sie es nicht. So auch eine Mei­nung von Šā fiʿī; nach seiner anderen Mei­nung werden sie beide in jedem Fall hin­gerichtet, da vom Pro­pheten über­­lie­fert wird uqtulū l-fāʿil wa-l-mafʿūl bihī und urǧumū l-aʿlā wa-l-asfal. … Wer dies Tun für erlaubt erklärt, begeht Apostasie und wird des­halb hin­gerichtet …“ Saraḫsī bringt erst die Argumente für ḥadd az-zinā, dann die dagegen. Dafür spricht, daß liwāṭ und zinā im Qurʾān mit dem glei­chen Namen „fāḥiša (Greuel­tat, abscheu­liche Tat)“ belegt sind und daß sie das gleiche Ziel verfolgen: Samen­erguß in einem von Natur her be­gehrten, warmen und weichen Ort. Die De­finition von zinā gilt auch für liwāṭ: „Ver­­botenes Ein­dringen in eine Körper­­öff­nung, deren Ver­­hüllung vor­ge­­schrie­­ben ist, und in welche das Ein­dringen rituelle Reinigung nötig macht.[86]

Die Gegenposition unter­streicht die Unter­schiede: „Greueltat“ heißen alle großen Sünden (kabāʾir), doch sind sie verschieden und werden unter­­schied­­lich bestraft. Im ḥadīṯ „Wenn ein Mann einen Mann koitiert, sind sie beide Hurer“ liegt über­­tragener Sprach­­ge­brauch vor. Die Sprach­­kundigen unter­­schei­den zwischen lūṭī und zānī. In ano findet keine Be­fruch­­tung statt, es kommt nicht zu an­ge­­zweifel­ten Vater­­schaften, die Rechte des Wächters des (Ehe-) Bettes, Vater bzw. Ehemann, sind nicht tangiert. Es ist auch seltener, weil die Begierde – be­son­ders auf der Seite des/der Pene­trierten – geringer ist. Die Pro­phe­ten­­gefährten waren über­ die Be­stra­­fung von liwāṭ uneins, was sich mit ḥadd nicht ver­­trägt. Der Ein­­wand, die Gefährten seien sich nur über­ die genaue Form der Strafe uneins, aber nicht über­ die Tötung (des muḥṣan), zieht nicht, weil – wie den Gefährten bekannt – für zinā eine ge­offen­bar­te Strafe feststeht; da sie aber über­ die Strafe für liwāṭ uneins waren, sahen es sie es nicht als zinā an, und die fest­gelegte Strafe für zinā kann nicht für etwas anderes als für zinā gelten. Ein Analogie­schluß führt niemals zu ḥadd.

Es mag daran liegen, daß die Gründer der Schule uneins waren oder an rati­ona­listi­schen, muʿtazila-nahen Nei­gungen der Ḥana­fi­ten oder daß sie unter Recht­ferti­gungs­druck standen: die anderen großen Rechts­­schulen hatten ḥadd-Strafen für liwāṭ fest­gelegt. Jeden­falls ar­gu­men­­tie­ren die Auto­ren der klassi­schen ḥana­fi­tischen Werke dort, wo viele nur de­kre­tieren. So ver­teidigt ʿAlāʾad­dīn Abū Bakr b. Masʿūd b. Aḥmad al-Kāsānī (gest. 587/1191) taʿzīr gegen die Vertreter der ḥadd-Strafe mit sechs Gründen:

1. Es gibt zwei deutlich geschiedene Begriffe zanā/zinā/zānī und lāṭa/liwāṭ/lūṭī und nicht etwa ‚zinā von vorn‘ und ‚zinā von hinten‘ .

2. Die Prophetengenossen waren sich über­ die Bestrafung uneins. Da es für zinā eine fest­gelegte Strafe gab, zeigt dies, daß sie es nicht für zinā hielten.

3. Während solche Uneinigkeit mit ḥadd unvereinbar ist, verträgt liwāṭ sie.

4. Es hat auch nicht die gesellschaft­lich disruptive Wirkung von zinā, weil es weder zu Unklar­­heiten bei den Abstammungs­verhältnis­sen führt, noch zu (dadurch bedingter) Vernach­lässigung der Kinder­fürsorge.

5. Es ist eher wie coitus interruptus als Samenverschwendung zu betrachten; und coitus interruptus ist nur makrūh.

6. Während zu zinā die Initiative von beiden aus­gehen kann, dem Pene­­trator und der Pene­­trierten, hat bei liwāṭ der Pene­­trierte/die Pene­­trierte kein sexuelles Inter­esse, keine Lust.[87]

Auch Burhānaddīn ʿAlī b. Abī Bakr al-Mar­ġīnānī (gest. 593/1197) han­delt Anal­ver­kehr an Frau und Mann zu­sammen ab.[88] Er teilt Abū Ḥanīfas Ansicht, daß dies mit taʿzīr zu züchtigen sei. Šai­bānī wird mit zwei Mei­nun­gen erwähnt: als Autor der Ǧāmiʿ aṣ-ṣaġīr mit Gefängnis bis zum Tod oder bis zur Umkehr, und zu­sam­men mit Abū Yūsuf mit der Mei­nung, daß es zinā sei; Šāfiʿī wird außer mit der Mei­nung, es sei zinā, mit der Mei­nung ange­führt, der Obere und der Untere seien zu köpfen. Marġīnānī ver­mutet aber, der ḥadīṯ, auf den sich Šāfiʿī hier beruft, habe sich auf einen un­ge­wöhn­lich schlimmen Fall be­zogen oder auf je­man­den, der mit (seinem Ver­gehen) stolz geprahlt habe oder es für gesetzlich (ḥalāl) erklärt habe.[89]

Im Kommentar zu Mar­ġī­nānīs Hidāya wendet sich Ibn al-Hu­mām aus­drück­lich gegen das Unter­­scheiden von Anal­koitie­ren des Knaben (ġulām) und dem der Frau. Obwohl die Nach­richten und Sprüche über­ die ver­schie­denen Tötungs­arten alle von Männern han­deln, leiten Abū Ḥanīfa und die meisten Ḥana­fi­ten aus der Uneinig­keit das Nicht-ḥadd-Sein der liwāṭa allgemein ab. Ibn al-Humām referiert einige ein­schlägige aḥadiṯ und unter­zieht ihre über­­lieferer­­ketten der üblichen Kritik. Er hält sie zwar für zu schwach, um damit ḥadd-Tötung zu rechtfertigen, sieht in ihnen jedoch eine Stärkung der Position, die Tötung des Wieder­holungs­täters aus Gründen der öffent­lichen Ordnung zu erlauben.

Postklassische Juristen

Während frühe und mittlere Ḥanafi­ten für liwāṭ in der Regel mildere Strafen vorsahen als die Juristen der andern Schulen, passen sich die späteren an. Dies geschieht auf zwei Arten:

1. Ibrāhīm al-Ḥalabī (gest. 956/1549) schreibt in seinem – im osmani­schen Reich große Geltung er­langenden – Mul­taqā al-abḥur: „Und ebenso für das Koitieren in einen weiblichen [wörtl: ihren] Anus und das Tun der Tat des Volkes von Lūṭ: auf beides steht ḥadd.[90]

2. Der zweite Weg, der uns in Ibn al-Humāms (gest. 861/1457) Kommentar zur Hidāya, dem Fatḥ al-qadīr,[91] begegnet, ist der inter­essantere, zwingt aber zu einigen generel­len über­­legungen über­ das Verhält­nis zwischen Ḥanafi­ten und den übrigen Sunniten.

Exkurs zum ḥadd bei Ḥanafi­ten und übrigen Sunniten

Welche Tatbestände mit ḥadd belegt sind, ist keines­wegs unumstritten. Andererseits ist es auch nicht völlig regellos so, daß die einen dies, die andern jenes mit ihr belegten, vielmehr neigten die Mālikiten zur Aus­deh­nung des ḥadd-Bereichs (sadd aḏ-ḏarāʾiʿ) und die Ḥana­fi­ten zur Aus­weitung der wegen Zweifel unter Vor­behalt (šubha) gestellten Tat­bestände; sie betonten die Tendenz der šarīʿa,
die Menschen nicht in Bedrängnis zu bringen.

Sadd aḏ-ḏarāʾiʿ, also die ‚Ver­hinde­rung von Aus­reden‘ oder auch ‚Zaun gegen Schliche‘, erinnert an den rabbini­schen Zaun um das Gesetz, den səyāg lat-tôrā: „Nach diesem Prinzip beschränkt sich der Verbotsbereich nicht nur auf das, was gesetz­lich bestimmt war, sondern umfaßte dar­über­ hin­aus alles, was zur Begehung des Ver­botes ḥarām oder Unter­lassung des Gebotes wāǧib führen könnte. In dieser Schule galt dieses prä­ventive Prinzip als Recht­schöpfungs­quelle, wenn Qurʾān und Sunna schweigen.[92]
Die qurʾānische Stütze für diese Auffassung liefert II 187: „… Dies sind Gottes Grenzen. Nähert euch ihnen nicht!“

Die mittleren ḥanafi­tischen Juristen begründen ihre Tendenz, den ḥadd-Bereich einzufi­schränken, mit „einem in vielen Varian­ten wie­der­kehren­den Satz. In den Worten von Saraḫsī, des bekannten ḥana­fi­ti­schen Juristen des 11.  Jahr­hunderts, liest er sich wie folgt:
‚…Gott ist erhaben dar­über­, daß ihm ein Mangel anhafte(n) (könnte), so daß er in seinen Rechts­an­sprüchen des Aus­gleichs bedürfe‘ (IX 36). Deswegen kann man die Rechts­ansprüche Gottes uner­füllt lassen, weil, so sagt Saraḫsī: ‚… er zu erhaben ist, als daß ihm ein Ver­lust oder ein Schaden anhaf­ten könnte.‘ (IX 69)[93]

Nun sind aber nicht einfach die Mālikiten die harten Strafer und die Ḥana­fi­ten die milden Tadler, son­dern in dem Maße, in dem ḥadd ein­ge­­schränkt wird, ver­größert sich der taʿzīr-Bereich und hier gestatten die späten Ḥana­fīten durch­aus harte Züch­­tigun­­gen bis hin zur Hin­richtung. Während die Ẓāhiri­ten und die meisten Šāfiʿīten und Ḥam­­baliten vor­­schrei­ben, daß die taʿzīr-Maßfi­nahme für eine „ḥadd-ähnliche“ Tat (Tat, bei der wesent­liche Merkfi­male der ḥadd-Tat gegeben sind, aber šubha vor­liegt) unter dem Straf­maß der ent­spre­chenden ḥadd-Strafe liegen müsse, sind die späteren Ḥana­fi­ten hier weniger rigoros. Sie greifen die von Ver­tre­tern der anderen Rechts­schulen ab dem 11.. Jahr­­hundert ent­wickelten Doktrin der siyāsa, welche die Rechts­­ein­griffe der Obrig­keit (sulṭān, šurṭa, muḥ­tasib, Militär) regeln sollte, ab dem 15. Jahr­­hundert in einer Weise auf, daß hier „taʿzīr und siyāsa zu­sam­men­fallen“.[94] Das heißt, sie geben dem qāḍī das Recht, im taʿzīr-Bereich Todes­­strafe, Gefängnis, Aus­peit­schung nach Gutdünken anzu­ordnen.[95]

Hier sind Äußerungen von Ibn al-Humām und von Ibn ʿĀbidīn von Inter­esse. Ibn al-Humām schreibt (die Zitate in seinem Text sind aus Mar­ġīnānīs Hidāya): „‚Wer eine Frau koitiert‘ , d.h. eine Fremde [d.h. weder Ehefrau noch legale Kon­kubine A.S.] ‚in den verhaßten Ort‘ , d.h. in ihren Anus ‚oder die Tat des Volkes von Lūṭ tut, für den gibt es bei Abū Ḥanīfa keine ḥadd-Strafe, son­dern taʿzīr‘ ; er soll gefangen ge­halten werden, bis er stirbt oder bereut. Und sollte er die liwāṭa wieder­holen, tötet ihn der Imām siyāsa­tan, sei er muḥ­ṣan oder nicht. … [Es gilt ferner] die Tötung des Wieder­holungs­täters nach der Mei­nung des Imām.[96]

Ibn ʿĀbidīn erlaubt Tötung des rückfälligen lūṭī šiyāsatan“, d.h. wenn es für die öffent­liche Ordnung nötig ist, obwohl das gött­liche Gesetz dafür Tötung nicht vorsieht[97] – so wie der Imām den durch Schön­heit Ver­wirrung Stif­tenden verbannen kann, obwohl er sich nichts hat zu Schulden kommen lassen.

Liwāṭ nur contra Deum oder auch contra naturam

Dann kommt in Ibn al-Humāms Kommen­tar – ohne Bezug auf eine Stelle bei Mar­ġī­nānī – eine kurze Erörterung der Frage, ob es liwāṭ im Para­dies gebe: „Es wird gesagt: wenn er aus Ver­standes­gründen (ʿaqlan) und wegen der Offen­barung (samʿan) verboten sei, so gebe es ihn (im Para­dies) nicht, und wenn er (nur) wegen der Offen­barung ver­boten sei, könne er (dort) existie­ren. Das Rich­tige ist, daß er im Para­dies nicht existie­ren kann, weil Gott ihn weit von sich wies und für hassens­wert erklärte.[98]

Ibn ʿĀbidīn geht in Radd al-muḥtār, seinem Kommentar zu Ḥaṣkafīs Durr al-muḫtār, der seinerseits Mullā Ḫusraws (gest. 885/1480) Durar al-ḥukkām[99] kommentiert, auf diese Frage ein: „Sein [= Ḥaṣkafīs] Aus­spruch ‚Und die liwāṭa gibt es nicht im Paradies.‘ As-Suyūṭī sagte [im Nawāḍir al-aik fī nawadir an-naik]: ‚[Abu l-Wafāʾ ʿAlī] Ibn ʿAqīl [b. Muḥammad] al-Ḥam­­balī [gest. 513/1119] sagte: Es kam dar­über­ zwischen Abū ʿAlī [Muḥammad b. Aḥmad] b. al-Walīd al-Muʿtazilī [al-Ḥanafī gest. 478/1086] und Abū Yūsuf al-Qaz­wīnī [az-Zaidī gest. 488/1095] zum Dis­put. Ibn al-Walīd sagte: ‚Es ist nicht verboten, daß jenes zur Ge­samt­heit der Genüsse des Para­dieses gehört, weil das Un­moralische [dieses Tuns dort] aufhört. Denn es ist auf Erden ver­boten, weil es die Fort­pflan­zung be­hindert und schädlich ist. Und im Paradies gilt beides nicht. Und des­wegen wurde das Wein­trinken erlaubt, weil es [ja im Para­diese] nicht betrunken macht, also weder zur Streit­sucht noch zu (zeitlichem) Schwinden des Ver­standes führt. Deshalb wurde sein Genuß im Paradies nicht ver­boten.‘ Und Abū Yūsuf sagte: ‚Die Neigung zu Männ­lichen ist eine Schwäche/ Krank­heit und sie ist an und für sich häß­lich, weil (der Anus) ein Ort ist, der nicht für den Koitus geschaffen ist. Deswegen wurde er in der šarīʿa nicht erlaubt. Im Unter­schied zum Wein verliert [liwāṭ im Paradies] seine rituelle Unreinheit nicht, [denn] das Paradies ist frei von Schwächen/ Krank­heiten.‘[100]

2. DIE MĀLIKITEN

Bei den Mālikiten liegt eine derart klare – und dazu noch einzige – Text­stelle vom Gründer der Schule vor, daß keine Debatten zu erwarten waren. Mālik b. Anas (gest. 178/795) berichtet, daß er Abū Bakr Muḥammad b. Muslim Ibn Šihāb az-Zuhrī (gest. 124/742) über­ denjenigen befragt habe, der die Tat des Volkes von Lūṭ tut: „Ibn Šihāb sagte: Über­ ihn komme die Steinigung, sei er muḥṣan oder nicht.[101]

Klassische Juristen

Entsprechend findet man in der Risāla des meist­zitierten klassischen Juristen, Abū Muḥammad ʿAbdallāh Ibn Abī Zaid al-Qaira­wānī (gest. 386/996):
„Wenn einer an einem voll­jähri­gen und ge­währenden Männ­lichen die Tat des Volkes von Lūṭ tut, werden beide ge­steinigt, seien sie muḥ­ṣan oder nichtt.[102]

Postklassische Juristen

Im Werk des postklassischen Juristen Ḫalīl b. Isḥāq b. Mūsā (gest. 767/1365) al-Muḫtaṣar fī fiqh al-Imām Mālik gibt es keinen extra Satz über­ liwāṭ; es wird unter zinā sub­sumiert; bei der Defini­tion wird es Vaginal­unzucht gleich­gestellt: „ebenso als Sodomie (wa-in liwāṭan)“.
Die Strafe der Steinigung wird jedoch nicht an die Bedin­gung des vor­aus­ge­gan­genen legalen Koitus gebunden; sie erfolgt in jedem Fall (muṭ­laqan).[103]

Problem: liwāṭ am eigenen Sklaven I

Ein Aspekt bleibt unklar: Ḫalīl schreibt: „… der lāʾiṭ wird in jedem Fall (muṭlaqan) ge­steinigt, auch wenn es sich um zwei Sklaven und zwei Un­gläubige han­delt.“ Das heißt doch wohl, daß das Verbot für freie Muslime aneinander, für Sklaven aneinander und Ungläubige an­ein­ander gilt, aber nicht für den freien Muslim, der einen Sklaven oder einen Ungläubigen *lutet.

Die gegenteilige Auffassung, daß auch liwāṭ am eignen Sklaven verboten ist, müßte von Juristen genauer ausge­drückt werden; so schreibt der ḥam­­bali­tische Jurist Ibn Taimīya in seiner Siyāsa: Die Sodomiten „sollen gesteinigt werden, gleich ob sie beide frei sind oder Sklaven, oder einer von ihnen frei und der andere ein Sklave ist, sofern sie volljährig sind.[104] G. H. Bousquets Traduction Nouvelle begräbt den wahr­­schein­lich gemeinten Sinn: « Le zina est le coït … même in vaso indebto; le partenaire étant: 1) un mâle, son esclave, ou non … »[105]

Daß es hier nicht um belanglose Über­setzungs­feinheiten geht, entnehme man dem 485/1092 von Abu l-Maʿālī Muḥammad b. ʿUbaid­allāh auf Per­sisch ver­faßten Bayān al-adyān, in dem es heißt, daß Mālikiten liwāṭ an den Mitgliedern des Haushalts (ʿiyāl) erlauben.[106] In Ibn Falītas Rušd al-Labīb[107] beruft sich ein muʾaḏḏin, der einen Christen­jungen be­schlief, auf Sure IX 120: „Sie werden keinen Ein­fall machen (wa-lāyaṭaʾūna mauṭiʾan), der den Groll der Un­gläubigen hervorruft, ohne daß ihnen dafür eine recht­schaffene Tat gut­geschrieben würde.“ Da das *Luten des eigenen Sklaven und das von Juden und Christen gesell­schaft­­lich gebilligt wurde, muß eine davon abweichende Regelung klar à la Ibn Taimīya aus­gedrückt werden.

Auch viele ḥanafi­tische Juristen klassifizieren liwāṭ am
(eigenen) Sklaven mit dem an der (eigenen) Sklavin und an der Ehefrau – so Ibn al-Humām[108] und noch deutlicher Ḥaṣkafī (gest. 1088/1677) in ad-Durr al-muḫtār: „… das Koitieren in ano: die Beiden [Abū Yūsuf und Muḥ. aš-Šaibānī] sagten [dazu]:
Wenn es an Fremden [gleich welchen Geschlechts A.S.] gemacht wird, fällt es unter ḥadd-Verbot. Und wenn es an seinem Sklaven oder seiner Sklavin oder seiner Frau [gemacht wird], fällt es nach dem Konsens nicht unter ḥadd-Verbot …[109]

Der Ǧaʿfarit al-ʿĀmilī (s. S. 89) weist darauf hin, daß einige fuqahāʾ seines maḏhab die ḥadd-Strafe für das Beschla­fen des Sklaven (mam­lūk) ablehnen wegen des Vorbehalts des Vorrangs des recht­mäßigen Besitzes (šubhat ʿumūm taḥlīl milk al-yamīn), und Faḫrad­dīn Muḥammad ar-Rāzī (543/1149–606/1209) referiert in seinem Tafsīr al-kabīr[110] zu VII 80[111] die Auffassung, daß XXXIII 5/6 (Selig sind die, … die sich des Geschlechts­­ver­kehrs enthalten außer gegen­über­ ihren Gattinnen und was sie besitzen.) Verkehr mit dem männlichen Sklaven erlaube, da beide Verse gleich allgemein sind: der eine erlaubt den Verkehr mit Sklaven generell, der andere verbietet den Verkehr mit
Männlichen generell. Auch sei das Verbot an einen früheren Propheten ergangen, die Erlaubnis an Muḥammad. Prinzi­piell sei erlaubt, was nicht eindeutig verboten ist. Wir werden darauf zurückkommen.

3. DIE ŠĀFIʿITEN

Eduard Sachau (1845–1930) schreibt in Muhammedanisches Recht nach schafiitischer Lehre:

Die Strafe für Unzucht a parte postica und Sodomiterei ist dieselbe wie für Un­zucht im All­gemeinen.[112]

Zur Strafe für Unzucht a parte postica ist zu bemerken: Excipiun­tur et uxor et serva propriae. Si crimen contra eas commissum repetitur, sceleratus punitur non poena scortationis sed flagellatione a judice de finienda. Si non repetitur, non est poena. ([Pedicatio der] eigenen Ehefrau und Sklavin sind aus­genommen. Wenn das Ver­brechen gegen diese wiederholt wird, wird der Unzüchtige nicht mit ḥadd az-zinā bestraft, sondern mit Auspeitschung nach Gut­dünken des Richters. Ohne Wiederholung, keine Strafe. A.S.)

Wer muḥṣan ist, wird gesteinigt; wer nicht muḥṣan, wird gegeißelt und verbannt. Nach einer anderen Ansicht soll der Ver­brecher unter allen Umständen getötet werden, nach anderen soll eine Mauer auf ihn gestürzt und nach einer vierten Ansicht soll er von einer Höhe herab­gestürzt werden.

Das Opfer des Verbrechens soll, wenn es verantwortungsfähig war und sich willig dem Verbrechen ergab, gegeißelt und verbannt werden; dagegen wenn es nicht verantwortungsfähig war oder gezwungen wurde, ist es straffrei.

Sodomita si muḥṣan est punitur lapidatione, si non est muḥṣan punitur et flagellatione et exsilio. Attamen altera et praehabenda eaque est sententia sodomitam flagellatione a judice definienda esse puniendum, non poena scorta­tionis.[113] (Der Sodomit wird mit Steinigung bestraft, wenn er muḥṣan ist. Ist er es nicht, wird er mit Geißelung und Ver­bannung bestraft. Dem­gegen­über­ gibt es die andere und vorzu­ziehende Mei­nung, daß der Sodomit nach Ermes­sen des Richters durch Auspeitschung zu bestrafen sei, nicht mit ḥadd.)

In aš-Šāfiʿīs Kitāb al-umm konnte ich zu liwāṭ an Männlichen nichts ent­decken, doch die iḫtilāf-Literatur und alle möglichen fuqahāʾ schrei­ben ihm über­­ein­stimmend zwei Mei­nungen zu: zum einen die Steinigung in jedem Fall und zum andern die Steini­gung für den muḥṣan sowie Auspeitschung und Verbannung (für ein Jahr) für den ġair muḥṣan – letzteres ist nach ʿAbdalwahhāb aš-Šāʿrānīs Mīzān al-kubrā[114] die maßgebendere (arǧaḥ) Ansicht.

Klassische Juristen

Abū Isḥāq Ibrāhīm b. ʿAlī aš-Šīrāzī al-Fīrūzābādī (gest. 476/1083) gibt im Kitāb at-Tanbīh genau diese beiden Mei­nun­gen wieder, ohne eine Prä­ferenz erkennen zu lassen.[115] Abū Bakr Muḥammad al-Ḥusain al-Āǧurrī (gest. 360/971) sieht für den lūṭī, den­jeni­gen der einen Mann oder Jungen (ġulām) anal koitiert, Steini­gung vor, für Schenkel­verkehr eine schwere, ins Belieben gestellte Bestrafung. Termino­logisch ist interessant, daß er die minder schwere Form ityān fī ġair ad-dubr“ nennt.[116]

Postklassische Juristen

Abū Šuǧāʿ al-Iṣfahānī (gest. 499/1106), Muḫtaṣar: „Die Strafe für liwāṭ ist die ḥadd-Strafe für zinā.[117] Ibn Qāsim al-Ġazzī (gest. 918/1528), Fatḥ al-Qarīb: „Wer eine Per­son *lutet, d.h. sie in ano koi­tiert, wird nach der Mei­nung des maḏ­hab mitḥadd bestraft.[118]

Problem: liwāṭ am eigenen Sklaven II

Muḥyiddīn Abū Zakarīyāʾ Yaḥyā b. Šaraf an-Nawawī (gest. 676/1277)
widmet liwāṭ keinen besonderen Satz, sondern sub­sumiert ihn unter zinā. Im Kitāb az-zinā, dem 52. Buch seines Minhāǧ aṭ-ṭālibīn, schreibt er: „Auf Einführen des Penis in eine Öffnung von jemandem, der einem verboten ist (muḥar­ramin li-ʿainihī) steht ḥadd … und der
männliche und weibliche Anus sind (hierin) der Vagina gleich – nach dem maḏhab.[119]
Das Einführen des Penis in den dubr der Ehefrau, der eigenen Sklavin und des eigenen Sklaven fällt nicht unter ḥadd. [120]

Eine weitere Stelle zu diesem Problem enthält das Ṭabaqāt-Werk des Tāǧaddīn Abū Naṣr as-Subkī (gest. 771/1370);[121] danach soll Abū Sahl [Aḥmad b. ʿAlī al-Abīwardī (gest. 425/1033)] erklärt haben, daß wer seine Sklaven *lutet (yalūṭu bi-ġulāmin mamlūk), nicht mit ḥadd bestraft wird. „Der Qāḍī[122] sagte: ‚wahr­schein­lich hat er es in Analogie zum Koitieren der zoroastri­schen Sklavin oder der Milch­schwester gesagt.‘ … Der Autor des Baḥr[123] urteilt, daß die ḥadd-Strafe wegen des Vor­be­haltes des Besitzes nicht angewandt wird (bi-anna milkahu fīhi yaṣīru šubhatan fī suqūṭi l-ḥadd).“

Nach Anderen, etwa ar-Rifāʿī (gest. 578/1182, GAL S I, S. 780f), fallen *Luten des eigenen wie des fremden Sklaven, so wie Beschlafen des Viehs unter taʿzīr.

4. DIE ḤAMBALITEN

Ibn Ḥambal hat in seinen Musnad Sprüche gegen das gemein­same Unter-einer-Decke-Schlafen von Männ­lichen (und von Weiblichen) aufge­nommen, solche, in denen lūṭīs ver­flucht werden, andere, die Analverkehr an Frauen ver­bieten, einen, nach dem der Prophet liwāṭ für seine Gemeinde fürchtete, sowie den uqtulū-Spruch.

Ibn al-Aṯīr erwähnt[124] und Adam Mez berichtet: „Im Jahre 323/934 gingen die muslimischen Ultras, die Ḥam­baliten, in der Haupt­stadt täg­lich gegen die Unsitt­lich­keit vor, stürmten die Häuser der Vornehmen, ließen die Wein­fäßer aus­laufen, schlugen die Sängerinnen, zerbrachen ihre In­strumente und verboten, daß Männer mit Frauen und Knaben auf der Straße gingen.“ (Sperrung Mez)[125]

Klassische Juristen

Die beiden größten ḥam­balitischen Juristen der Zeit des Nieder­gangs und Endes des abbasi­­di­schen Kalifats, Ibn Taimīya (gest. 728/1328), und Ibn Qudāma (gest. 620/1223) sehen unter­­schied­­liche Be­­stra­­fung von liwāṭ vor. Ibn Taimīya stützt sich auf den Propheten­spruch: „Wen ihr findet, der die Tat des Volkes von Lūṭ tut, tötet den Aktiven und den Passiven.“ und sieht in jedem Fall – Zurech­nungs­fähigkeit vorausgesetzt: Verstand und Voll­jährig­keit – Steinigung vor; explizit auch dann, wenn einer von beiden Sklave ist.

Ibn Qudāma subsumiert liwāṭ – ob an Frauen oder Burschen (an Männern erwähnt er nicht!) – unter zinā, schreibt folgerichtig[126] auch keine andere Strafe vor, Steinigung für den muḥṣan und Auspeitschung für den ġair muḥṣan.[127]
Ibn Qudāma beginnt den Bāb ḥadd az-zinā:
„Wer das Abscheu­liche in vaginam vel anum[128] einer Frau, die er nicht besitzt [an der er weder als Ehe­mann, noch als Sklaven­halter das Recht zum Beischlaf besitzt A.S.] oder eines Knaben (ġulām) tut oder wem dies gemacht wird, seine/ihre Strafe ist die Steinigung, so er/sie muḥṣan ist, 100 Hiebe, Ver­bannung auf ein Jahr (taġrīb ʿām), so nicht.[129]

ʿAbdarraḥmān b. Ibrāhīm al-Maqdisī (gest. 624/1227) bringt im Kommentar zu dieser Stelle auch die abwei­chende Mei­nung von ʿAlī, Ibn ʿAbbās, Ǧābir und Aḥmad b. Ḥam­bal, nach welcher auch der ġair muḥṣan zu steinigen sei, stützt aber die Sub­sumierung von liwāṭ unter zinā mit einem ḥadīṯ: „Wenn ein Mann in einen Mann eingeht, sind beide zānīs.“

Postklassische Juristen – liwāṭ am eigenen Sklaven III

Ein Abschnitt von Ibn Qaiyim al-Ǧauzīyas (gest. 752/1350) aṭ-Ṭuruq al-ḥikmīya fi s-siyāsa aš-šarʿīya[130] ist nicht nur für das liwāṭ-an-Sklave-Problem von Inter­esse; es be­han­delt auch ein selten in fiqh- Werken abge­han­del­tes Tun: Vergewaltigung von Männern. Er schreibt:

a. Selbst bei Todesdrohung darf ein Mann sich nicht pene­trieren lassen. (Tod ist verglichen mit dem Schaden, den Pene­triert-Werden für Seele und Körper verursacht, das kleinere Übel.)

b. Der mit Vergewaltigung Bedrohte darf den Bedroher töten, ohne Strafe im Dies- oder Jenseits fürchten zu müssen. Dies gilt auch für den Sklaven, der seinen Herren tötet. Wer beim Versuch, den Verge­waltiger zu töten, bzw. beim Sich-der-Verge­waltigung-Widersetzen umkommt, ist ein Märtyrer.

c. Wer seinen Sklaven vergewaltigt, darf ihn nicht behalten: der Sklave darf weglaufen (dies gilt wohl auch bei tafḫīḏ – was mit au naḥwahū gemeint sein muß), der Sklave wird frei­ge­lassen, oder er wird verkauft.

Moderne

Das neuzeitliche ḥam­balitische Recht ist von besonderem Belang, da es in Saudi-Arabien angewandt wird. Dabei kommt dem Dalīl aṭ-ṭālib li-nail al-maṭālib von Marʿī b. Yūsuf al-Karmī al-Maqdisī (gest. 1033/1624) große Bedeutung zu.[131]
Der wahhābitische qāḍī Ibrāhīm b. Muḥammad b. Salīm Ibn Dūyān (gest. 1353/1934) schrieb dazu einen Kommentar: Manār as-sabīl fī šarḥ ad-Dalīl: „‚*Lutete jemand‘ (Marʿī) Knaben, wäre die ḥadd-Strafe obligatorisch …: Steinigung in jeden Fall …“ d.h. unabhängig davon, ob muḥṣan oder nicht.[132]
Weiter schreibt Marʿī: „Damit die ḥadd obligatorisch wird, müssen drei Bedingungen erfüllt sein: 1. Eindringen der Eichel oder von Gleichviel in die Vagina oder den Anus einer lebenden Per­son. …[133] Der Mann der Praxis, der qāḍī Ibn Dūyān, läßt also ganz selbst­verständlich liwāṭ an der Ehefrau weg – weil damit kein Richter belästigt wird (?) – und ebenso liwāṭ an erwachsenen Männern – weil es das nicht gibt (?).

NOTEN

[71] „Klassisches islamisches Recht“ im Handbuch der Orientalistik, Erste Abteilung, Ergänzungsband III (Hg. Spuler), S. 234.
[72] Über­s. G. Endreß, Der Islam­ I, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 1968 (Fischer Weltgeschichte Bd. 14), S. 133f. Die wohlwollende Lesart, nach der Cahen die Freiheit nicht rechtlich, sondern gesellschaft­lich meine, läge näher, wenn er statt von der „Freiheit des Mannes, Verbindungen mit Sklavinnen einzugehen“ von der „Freiheit des Reichen“ schriebe und statt von „homo­sexuelle(n) Beziehungen“ von „päd­eras­­ti­sche(n)“.
[73] Histoire de l’organisation judicaire en pays d’islām, Leiden: Brill, 21960, S. 611: « La castra­tion était ordinairement infligé aux auteurs de délits contre les mœurs. » – Hans-Heinrich Jescheck: „Islamisches und westliches Strafrecht“ in Festschrift für Dietrich Oehler (Hg. R. D. Herzberg) Köln usw: Heymanns, S. 545: „Unzucht im islamischen Sinne ist jeder außereheliche Geschlechtsverkehr.“
[74] Leipzig: Dyk, 1885, S. 34f.
[75] L.W.C van den Berg: De Beginselen van het Mohammedaansche recht, volgens de imām’s Aboe Hanīfat en asj-Sjāfeʾī, Batavia: ’s Gravenhage, 1874.
[76] „Die Todesstrafen des islamischen Rechts“ in Bustan, Wien, 1962, Nr 4, S. 11.
[77] muḥ­ṣan ist hier eine voll-strafmündige Per­son, d.h. volljährig, zurechnungs­fähig und insbesondere „einen legalen Beischlaf hinter sich habend“; die übliche Über­­setzung mit „verheiratet“ ist dreifach un­genau: der Verheiratete, der die Ehe nicht vollzogen hat, ist nicht muḥ­ṣan, während der Nicht-Mehr-Ver­heirate (Witwer oder Ver­stoßer), der eine Ehe wenigstens einmal vollzogen hat, und der Vaginal-Beschlä­­fer einer Sklavin, die ihm gehörte oder ihm über­­lassen war, muḥṣan sind, ohne verheiratet zu sein.
(Nachtrag: Die 12er Schiʿiten definieren wirklichkeitsnäher: Nur wer eine Ehefrau oder Sklavin bei sich hat – nicht weiter als eine Siebentagereise entfernt – ist dadurch vor Sünde gesichert, muss, wenn er sie trotzdem begeht, härter bestraft werden. – Das Oberste Gericht des Sudan hat muḥṣan ebenfalls an die reale Möglichkeit zu legalem Geschlechtsverkehr gebunden. ) 
[78] Tunis: Soc. Anonyme de l’Imprimerie Rapide, 1926, S. 95.
[79] Nach Erscheinen des „red.“ gezeichneten Artikels fragte ich Pellat, ob mehrere Autoren dazu beigetragen hätten, oder ob er der Autor sei. Er bekannte sich unumwunden als alleiniger Autor.
[80] Paris, 1983, S. 783; Leiden, 1983, S. 777.
[81] J. Schacht (Hg.): G. Bergsträsser’s Grundzüge des islamischen Rechts, Berlin: de Gruyter, 1935, S. 99.
[82] J. Schacht: An Introduction to Islamic Law, Oxford: Carendon, 1964, S. 178.
[83] Daß die späten Ḥanafi­ten dem qādī weit mehr Freiheit geben, bleibt bei der Über­setzung unbe­rücksichtigt, da sonst das „at least“ fehl am Platze wäre.
[84] E. Heffening: Ḥanafi­ten in 1EI.
[85] o. O. [Lahna], 1310/1892, S. 78.
[86] Saraḫsī: Mabsūṭ IX S. 77.
[87] Badāʾiʿ aṣ-ṣanāʾiʿ, al-Qāhira: Maṭbaʿat al-Imām, S. 4151f.
[88] Charles Hamilton, der dieses für das britisch-hanafi­tische Recht so wichtige Werk im Auftrag des Generalgouverneurs von Bengalen über­setzte, irrt, wenn er schreibt: „If a man copulate with a strange woman in ano—(that is, commit the act of sodomy …“ (S. 185). Richtig heißt es: „Wer eine Frau im hassens­werten Ort beschläft oder das Tun der Leute Lots tut …“ Es werden also mann-weib­licher und mann-männlicher Analkoitus zusammen abge­handelt, der Begriff „das Tun der Leute Lots“ steht aber – anders als liwāṭ, liwāṭa und lūṭiya – nur für den mann-männlichen Akt.
[89] Al-Hidāya, Calcutta, 1234/1818, S. 376; Über­s. Charles Hamilton (nach der pers. Fassung Ġulām Yahyā von 1190/1776), London, 1870, S. 185; im Kommentar des Ibn al-Humām mit abgedruckt, IV S. 151.
[90] İstanbul, 1836, S. 99.
[91] Kamāladdīn Muhammad b. ʿAbdalwāhid b. ʿAbdalhamīd b. Masʿūd Ibn al-Humām as-Sīwāsī: Fath al-qadīr, IV S. 150–152.
[92] Adel El Baradie: Gottes-Recht und Menschen-Recht, Baden-Baden: Nomos, 1983, S. 79.
[93] Baber Johansen: „Eigentum, Familie und Obrig­keit im Hanafi­­tischen Straf­recht“ in Die Welt des Islams XIX, 1979, S. 46; jetzt auch in B. Johansen: Contin­gency in a Sacred Law, Leiden: Brill, 1999, S. 394.
[94] ebenda, S. 58 bzw. S. 406.
[95] Da im osmani­schen Reich der qādī Organ der staat­­lichen Rechts­pflege war, sei kurz auf die Bestim­­mungen des osmani­schen qānūn verwiesen. Uriel Heyds: Studies in Old Ottoman Criminal Law (Oxford: Claredon, 1973), S. 61, 63, 64, 100, 102, 103: 19: Aus­­peitschung und Geld­­strafe für Küssen eines Jungen, 27: Aus­­peitschung und Geld­­strafe für Sich-Be­schlafen-Lassen; beim Minder­jährigen: des Vaters, 32: Geld­strafe für den ver­hei­ra­teten lūṭī, 33: eine ge­ringere Geld­strafe für den unver­hei­rateten lūṭī, 34: Auspeitschung und Geld­strafe fürs *Luten der Ehefrau, 35: Geld­strafe für Jungs, die es mit­ein­ander treiben.
[96] Ibn al-Humām: Fath al-qadīr, IV S. 150. Merkwürdig, daß sowohl Johansen als auch El Baradie, obwohl sie beide immer wieder Ibn al-Humām heran­ziehen, dies erst für den 400 Jahre späteren Ibn ʿĀbidīn (gest.1252/1856) fest­­stellen; El Baradie schreibt in Gottes-Recht, S. 150f.: „Da diese Lehre es als unzu­lässig ansieht, hadd-Strafvor­schriften analog anzu­­wenden, gilt bei ihr z.B. die Päd­erastie vom muḥṣan als hadd-(Unzucht-)ähnliches Delikt. … Nach dieser Lehre ist die Anwendung der Todesstrafe in diesen und ähn­lichen Fällen nicht zwingend und erfolgt nur bei gleichartigem Rückfall. (Ibn ʿĀbidīn: Takmi­lat Radd al-muhtār ʿala d-Durr al-muḫtār, 2. Aufl., al-Qāhira, 1966, IV S. 62ff.)“ Johansen schreibt: „ … schon Ibn al-Humām (gest. 861/1457) läßt … die Todesstrafe in der Verfolgung von ‚Zauberer(inne)n‘ zu … Späte Kommentatoren, wie Ibn ʿĀbidin, leiten aus dem oben zitierten Satz [Im taʿzīr ist nichts festgelegt.] einen fast un­ein­­ge­schränk­ten Ermessens­spielraum des Richters ab. Ibn ʿĀbidīn … (will) den rückfälligen Homo­sexuellen [sic] (mit dem Tode bestrafen)“. „Eigentum, Familie und Obrigkeit im Hana fi tischen Strafrecht“, S. 58.
[97] Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muhtār, Miṣr, 1272/1855, III S.147 = al-Qāhira, 1307/1890, III S. 160 = Bulāq: Amīrīya, 1324/1906, III S. 152f. = al-Qāhira 21966, IV S. 14f.
[98] ebenda.
[99] Miṣr: Muhammad Asʿad, 1330/1883, S. 360.
[100] Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muhtār, Miṣr, 1272/1855, III S.155 = al-Qāhira, 1307/1890, III S. 170 = Bulāq: Amīrīya, 1324/1906, III S.160 = al-Qāhira 21966, IV S. 28.
[101] vgl. S. 67 n. 65.
[102] Alger: Editions Populaires de l’Armée, 81980, S. 254.
[103] al-Qāhira: Makṭabat ʿAbbās b. Šaqrūn, 1904, S. 270.
[104] Über­s. Omar A. Farrukh: Ibn Taimīya on Public and Private Law in Islam, Beirut: Khayats, 1966, S. 119; Über­s. Henri Laoust; Le traité de droit public …, Beyrouth: Institut Francais de Damas, 1948, S. 107.
[105] Ḫalīl, Über­s. Bousquet: Abregé de la loi musulmane selon le rite de l’Imâm Mâlik, Alger: Maison des livres, 1958, S. 47.
[106] In Chrésto­matie persane I, Hg. Charles Henri Aug. Schefer, Paris: E. Leroux, 1863, S. 154; erwähnt von Louis Massignon: La Passion d’al-Hosayn Ibn Mansour al-Hallaj, Paris: Geuthner, 1922, S. 797 = La Passion de Husayn Ibn Mansûr Hallâj, Paris: Gallimard, 1975, III S. 254.
[107] Ibn Falīta: Rušd al-labīb ilā muʿāšarat al-habīb, Hg./Über­s. Mohamed Zouher Djabri, Diss. Med. Erlangen-Nürnberg, 1968, S. 14.
[108] Fath al-Qadīr, IV S. 150.
[109] al-Ḥaṣkafī: ad-Durr zus. mit Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muhtār, Miṣr, 1272/1855, III S.155 = al-Qāhira, 1307/1890, III S. 170 = Bulāq: Amīriya, 1324/1906, III S. 160 = al-Qāhira, 21966, IV S. 27.
[110] Mafāṭīh al-ġaib, al-Qāhira, 1352/1933, XIV S. 170.
[111] „Wollt ihr denn etwas Abscheuliches begehen, das noch kein Mensch vor euch begingö“
[112] Stuttgart: Spemann, 1897, S. 809.
[113] ebenda, S. 818.
[114] al-Qāhira, 1302/1885, II S. 170.
[115] Über­s. Bousquet: Kitāb et-tanbīh ou Le livre de l’admonition, Paris: La Maison des livres, 1959, S. 52.
[116] Ḏamm al-liwāṭ, al-Qāhira, 1990, S. 76. – Thomas Bauer, dessen „litera­tur- und men­ta­li­täts­geschicht­liche Studie des arabi­schen Ġazal,“ Liebe und Lie­bes­dichtung (Wiesbaden: Harrasso­witz, 1998) Hervor­ragen­des zur Auf­arbei­tung des Homo­eroti­schen leistet, begeht hier einen Fehler. Er schreibt: „der Begriff liwāṭ [hatte] im reli­giösen Schrif­tum eine andere Bedeutung als in der übrigen Litera­tur […]. In juristischer Termi­no­logie wird liwāṭ defi­niert als ityānu r-raǧuli r-raǧula, d.h. als ‚Ver­kehr eines Mannes mit einem anderen Mann‘ (Āǧurrī, S. 22). … Im all­gemeinen Sprach­gebrauch ist liwāṭ aber keines­­wegs jeder Verkehr zwischen Per­­sonen männlichen Geschlechts.“ (S. 165f.) In der Bewer­tung (Ver­urteilen beider Parteien) weichen die Juristen zwar vom Üblichen ab, nicht aber in der Terminologie. Solche Fehler erweisen die Notwendigkeit, von „Koitieren eines Mannes“ statt vom „Koitus/Ver­kehr mit einem Mann“ zu sprechen. Wo im Arabischen ein Akkusativ­objekt steht, sollte auch auf deutsch eins stehen – auch wenn es unschön klingt.
[117]
Hg./Über­s. Simon Keijzer: Précis de jurispridence musulmane, Leiden: Brill, 1859, S. 37; ebenda, Über­s., S. 50.
[118] Hg./Über­s. L. W. C. van den Berg, Leiden: Brill, 1894, S. 574–77

[119] Hg./Über­s. van den Berg, Bd. III, Batavia: Imprimerie du Gouvernement, 1884, S. 211.

[120] Van den Berg über­setzt unpräzise: « Le crime [sic] de forni­cation consiste dans l’introduction de la verge dans le vagin d’une femme avec laquelle on n’a point le droit d’exercer le coït … Ce crime méri te [sic] la peine afflictive et défi nie, laquelle peine est applicable aussi, selon notre rite, à celui qui a introduit sa verge dans le podex d’un homme ou d’une femme. » G. H. Bousquet, der 1959 eine Liste Correc­tions pro­posées aux traductions par v. d. Berg de textes châféʿîtes ver­öffent­lichte (Biblio­thè­que de la Faculté de Droit de l’Univer­sité d’Alger XV), fi el hier kein Fehler auf. Im Original steht aber gerade nicht, daß ‚auf Einführen in einen männlichen oder weib­lichen anum hadd steht‘ , sondern daß diese beiden der Vagina gleich­gestellt sind (wa-dubr … ka-qubul), daß also hadd auf dem Einführen des Penis in
den dubr muharramin li-ʿainihi steht.
[121] al-Qāhira, 1324/1906, III S. 18.
[122] Wohl al-Ḥusain b. Muhammad al-Marwarrūdī (gest. 462/1070): Tālīqa.
[123] Vielleicht Abu l-Mahāsin ʿAbdalwāhid ar-Rūyānī (gest. 502/1108): Bahr al-Maḏhab.
[124]Kāmil fi t-taʾrīḫ, Hg. Carolus Johannes Tornberg, Leiden: Brill (14 Bde.) VIII, 1862, S. 230.
[125] Adam Mez: Die Renaissance des Islams, Heidelberg: Winter, 1922, S. 230.
[126] Im Gegensatz zu al-Ḫalīl, der es zwar als zinā definiert, aber eine andere rechtliche Behandlung vorsieht. (Vgl. S. 80.)
[127] Kitāb al-ʿumda fī ahkām al-fiqh, al-Qāhira: Maṭbaʿat as-Salafīya, 31382/1962, S. 556f.; Über­s. Henri Laoust: Le précis de droit d’Ibn Qudāma, Beyrouth: Institut Français de Damas, 1970.
[128] Henri Laoust über­­setzt 1950 prüder und wer­tender als das Ori­ginal: « dans des conditions normales ou contre nature », den ersten Satz über­ qaḏf: „wa-man ramā bi-zinan au šahida ʿalaihi bihī …“ mit: « Quiconque accuse un homme [sic] dit muḥṣan de fornication ou de sodomie, ou témoigne contre lui du délit de fornication ou de sodomie … ». Was die Über­­setzung an Klarheit gewinnt, verliert sie an Auslegbarkeit und Allgemeinheit.
[129] Über­s. Laoust.
[130] al-Qāhira, 1317/1899, S. 54.
[131] I. Goldziher im vorletzten Absatz seines 1EI-Artikels Ahmad b. Ḥanbal; sowie George M. Baroody: Crime and Punish­ment under Islamic Law, Cairo, 1961; 2Oxford: Regency Press, 1979, Vorwort.
[132] Makka: Maktabat at-Tiǧārīya, 1996, S. 1128; Ubers. George M.Baroody, a.a.O., S. 63.
[133] a.a.O., S. 1129: a.a.O., S. 64.

liwāṭ im fiqh 03 – Qurʾān

In Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 11.Januar 2010 at 18:04

Das Wort liwāṭ kommt im Qurʾān nicht vor, noch wird ʿamal qaum Lūṭ in ihm definiert oder dafür eine Strafe fest­gelegt – wie dies etwa für zinā (XXIV 2–9), für sariqa (V 30) und für muḥāraba (V 33) der Fall ist. Und doch wird der Terminus liwāṭ, dessen Ver­bot, teilweise sogar die Ahndungs­art, auf den Qurʾān zurück­geführt.

Sure IV, Vers 16.[4x]
Die ersten Abschnitte der 4. Sure (Die Frauen) ent­­halten viele (Rechts-)­Vor­schrif­ten, über die Erb­teile, die Treu­händer­schaft von Waisen­­vermögen, über Ehe­­hinde­­rungs­­gründe, richtiges ehe­liches Ver­halten, über die Morgen­gabe, Trunken­heit, über rituelle Rein­heit beim Gebet, sowie (in den Versen 15,16) über das Begehen von Abscheu­lichem:

15 Und wenn welche von euren Frauen etwas Abscheuliches begehen, so ver­langt, daß vier von euch (Männern) gegen sie zeugen! Wenn sie (tat­sächlich) zeugen, dann haltet sie im Haus fest, bis der Tod sie abberuft oder Gott ihnen eine Möglichkeit schafft.
16 Und wenn zwei von euch (Männern) es begehen, dann züchtigt (?) sie (w.: tut ihnen Ungemach an) [fa-ʾāḏūhumā]! Wenn sie (darauf­­hin) um­kehren und sich bessern, dann wendet euch von ihnen ab (und setzt ihnen nicht weiter zu)! Gott ist gnädig und barm­herzig. (Übers. Paret)

Daß mit den „zwei“ (allaḏāni) ‚zwei Männer‘ gemeint sind, ist um­stritten. Roberts schreibt: „… betreffs der Erklä­rung von Sūra [IV 16] stimmen die Kommen­­ta­toren nicht überein. Zamaḫ­šarī und Baiḍāwī behaupten z.B. daß es sich hier um Unzucht zwischen zwei Personen verschie­denen Geschlechts handle, wogegen der Kommentar der Ǧalā­lain Sodomi­te­rei annimmt. Letzteres scheint mir richtiger zu sein, weil a) nur Pronomina mas­cu­lina vor­liegen, b) sich die Gering­­fügig­keit der Strafe so am besten erklärt, und c) die Bestrafung der Frauen nach dem unmittel­­bar vor­her­­gehen­den Vers anders und zwar viel strenger ist.“.[42] Ergänzend sei ver­merkt, daß sowohl Zamaḫ­šarī (gest. 538/1144) als Baiḍāwī (gest. 675/1276) die Auffassung, daß der Vers sich auf liwāṭ beziehe, wenigstens erwähnen – im Gegen­satz etwa zu Ṭabarī (gest. 310/923). Ibn Kaṯīr (gest. 774/1373) gibt die Unklar­heit des Verses unum­­wunden zu und zieht zur Klä­rung einen ḥadīṯ heran. Die Ǧalālain (Ende des 16. Jahrh. westl. Kalenders) gehen einen Schritt weiter: sie erklären den Vers für auf jeden Fall mansūḫ, beziehe er sich nun auf liwāṭ, was plausibler sei, oder auf zinā. Von den zwei neuzeit ­­­lichen ägyp­tischen Kommen ­tatoren, deren Werke ich eingesehen habe, bezieht Muḥammad Maḥmūd al-Hiǧāzī.[43] ihn auf zinā (er erwähnt die andere Auf­fassung) und Saiyid Quṭb (1906–1966 hin­gerichtet) auf liwāṭ,.[44] stellt aber fest, daß die strafrechtliche Behandlung von liwāṭ nicht auf diesem Vers fußt.

Die Lūṭ-Geschichte

Die Lūṭ-Geschichte wird im Qurʾān nicht seltener als 15 mal erwähnt (VII 80–84; IX70; XI 77–81; XV 58–77; XXI 74,75; XXII 43; XXVI 160–175; XXVII 54–59; XXIX 28–35; XXXVII 133–136; XXXVIII 13; L 13; LI 32-37; LIII 53; LIV 33–40). Doch darf aus der Wieder­­holung nicht geschlos­sen werden, daß liwāṭ dem Ver­künder des Qurʾān, beson­ders wichtig gewesen wäre: Erstens sind Wieder­holungen im Qurʾān ganz gewöhn­lich. Zweitens steht für Muḥam­mad nicht das spezifische, konkrete (Un-)Tun der Leute im Vor­der­grund, sondern ihr Nicht-auf-ihren-Pro­phe­ten-Hören. Die Ṣāliḥ-Ṯamūd-Geschichte kommt sogar 19 mal vor (VII 73–79; IX 70; XI 61–68; XIV 9; XV 80–84; XVII 59; XXII 42; XXV 38; XXVI 141FF; XXVII 45–53; XXIX 38; XXXVIII 13; XLI 13,17; L 12; LI 43-45; LIII 51; LIV 23–31; LXIX 4). Die Hūd-ʿĀd-Geschichte wird 16 mal erwähnt (VII 65–72; IX 70; XI 50–60; XIV 9; XXII 42; XXV 38; XXVI 123–140; XXIX 38; XXXVIII 12; XLI 13–15; XLVI 21; L 13; LI 41; LIII 50; LIV 18; LXIX 4,6; XCI 11-15), die Šuʿaib-Midiani­ter-Geschichte immerhin 9 mal (VII 85–93; IX 70; XI 84–95; XV 78; XXII 44; XXVI 176–184; XXIX 36,37; XXXVIII 13; L 13,14). Auch Nūḥ (ganze Sure LXXI; XI 25; XXVI 107; XLII 13 et passim), Mūsā (und Hārūn), sogar Ibrāhīm (bes. VII 83; IX 70; XXIX 16; XLIII 26) sind nicht nur Über­­bringer einer Offen­ba­rung, sondern auch Warner (naḏīr), derer Bot­schaft jedoch auf taube Ohren stößt – bei Moses (und seinem Bruder) an Pharao und sein Volk, bei Abraham an seinen Vater und sein Volk. Inter­es­san­ter­weise werden bei allen alt­­testamen­­tari­­schen Gestal­ten die Adres­sa­ten als qaum XY be­zeichnet, z.B. XXII 42f. – „vor [den Mek­ka­nern] haben die Leute Noahs, die ʿĀd und die Ṯamūd (ihre Gesandten) der Lüge geziehen, des­gleichen die Leute Abrahams, die Leute Lots“,[45] für Moses VII 7 und II 54. Das Wesent­liche liegt nicht in der Art des Ver­gehens, sondern im Dar­an­fes­thalten, im Miß­achten der Warnung, im Über­hören des Pro­pheten. Dies wird dreimal explizit gesagt:[46]

XXXIV 34 Nie schickten wir einen Warner in eine Stadt, ohne daß diejenigen Bewohner, die ein Wohl­leben führten gesagt hätten: ‚Wir glauben nicht an die Botschaft …‘
XXVIII 58 Und wie viele Städte, die sich ihres (üppigen) Lebens­wandels rühmten, haben wir (zur Strafe für den Un­glauben) zugrunde gehen lassen!
XXII 45 Und wie viele Städte gibt es, die wir in ihrer Frevel­haftig­keit haben zugrunde gehen lassen, so daß sie (nun) in Trümmern liegen. (nach Paret).[47]

Der Unglaube der Sodomer (wie der Mek­kaner) geht so weit, daß sie Be­weise ver­langen:

XXIX 29 „Bring‘ uns die Strafe Gottes (die du uns androhtest) her, wenn (wirklich) du die Wahr­heit sagst!“ (Paret).[48]

All diese Verse stammen aus der mekkanischen Periode;[49] in ihnen droht Muḥammad den Ungläubigen, kündigt ihnen Strafe für den Fall des Behar­rens in ihrem Unglauben an, tröstet und ermutigt gleich­­zeitig die Gläubi­gen: schließ­lich ging es den Pro­pheten vor Muḥammad auch nicht besser; so wird sein zeit­weili­ger Miß­erfolg bei den Mek­kanern aus einem Hinweis auf mangelnde gött­liche Unter­stützung zu einem Beleg der Echt­heit seines gott­ge­gebenen Auftrages. Und drittens kommt das Straf­gericht über Lūṭs Volks­­genossen, weil sie Frevler sind (kānū ẓālimīna XXIX 31) und weil sie ge­sündigt haben (kānū yafsu­qūna XXIX 34). Ihr Frevel und ihre Sünde ist aber nicht nur ‚Sodomie im engeren Sinne‘ , sondern:
– sich mit Männern abgeben (statt mit Frauen);
– Wegelagerei treiben;
– in den Rats­versamm­lungen Verwerf­liches (al-munkar) begehen (XXIX 29).[50]
Ähnlich polyvalent ein hadīṯ im Maǧmūʿ al-fiqh (vor 122/740, vgl. S. 98):

Zaid berichtete mir nach seinem Vater [ʿAlī], nach seinem Groß­vater [Ḥusain], nach ʿAlī; er sagte: „Ich hörte den Propheten sagen: ‚Zehnerlei ist das Tun des Volkes von Lūṭ; deshalb paßt bei ihnen auf (hütet euch davor): das Herab­­wachsen­­lassen des Schnurr­bartes, das Frisieren der Haare, das Kauen von Kau­gummi, das Auf­knöpfen der Knöpfe, das Herab­hängen­­lassen des Schals, das Fliegenlassen von Tauben, das Werfen von Hasel­nüssen, das Pfeifen, gemeinsames Trinken und gemeinsames Spielen.‘ [51]

Bei aller Warnung vor der Über­bewertung der sexuellen und juristi­schen Dimen­­sionen, bei allem Nach­druck auf der Bedeutung des Ver­hält­nis­ses Gott – Gesandter – Ungläu­­bige folgt aus diesen Versen auch ein Verbot sexu­el­len Verkehrs unter Männ­­lichen. Der Qurʾān ruft die Menschen jedoch nicht auf, diese Sünder zu bestrafen; vielmehr behält sich Gott die Strafe selbst vor. Besonders XI 82f. läßt sich so ver­stehen: Gott führt nicht nur den Unter­gang der sündi­gen Gemeinde (minus der wenigen Gerech­ten, die er – wie einst Noah in der Arche – rettet) herbei; er kümmert sich um den Tod jedes Ein­zelnen mit ge­zeich­ne­ten Steinen (ḥiǧāratan … musau­wamatan), denen nie­mand entkommen kann. Dieses Motiv wird in der von Muḥam­mad b. Ḫāwand Šāh (Mīrḫwānd) über­liefer­ten Anek­­dote deut­lich: „Ein glühen­der Stein traf den Kopf von Lūṭs Frau, die die Zer­stö­rung ihrer Heimat­stadt schaute; es traf sie die allgemeine Strafe. Die Bürger, die zu diesem Zeitpunkt außer­halb waren, traf das gleiche Schicksal: Alle Sünder kamen in die Hölle. Einer von ihnen war gerade im Heilig­tum von Mekka; der Stein, der ihn töten sollte, blieb in der Luft über ihm, solange er dort war, und traf ihn, als er es verließ.[52] Also: Sex unter Männ­lichen ist ab­scheu­lich und ver­werf­lich, man soll da­gegen vor­gehen und die Sünder zur Umkehr aufrufen. Hilft dies nicht, soll man sie strafen. Harte Strafen – im Dies- wie im Jenseits – sind Gott vorbehalten. Die Verse haben mehr den Charak­ter einer frommen Ermah­nung und eines morali­schen Verbots, als den eines Gesetzes.

Charles Pellat schließt den Qurʾān-Absatz seines EI-Artikels liwā[53]> wie folgt: „Die Strafe, die das Volk Lots im Qurʾān wie in der Bibel (Gen., XIX, 1–23) trifft, läßt keinen Zweifel an der Art, mit der der Islam die Sodomie ansehen muß, auch wenn sie nicht aus­drück­lich durch das Heilige Buch ver­urteilt wird, das übrigens eine gewisse Zwei­deutig­keit zuläßt, wenn es die Gläubigen mit Ver­sprechungen ködert, daß sie im Paradiese von Ephe­ben bedient würden (ġilmān LII, 24; wildān LVI, 17, LXXV, 19).“

LIWĀT IM ḤADĪṮ

Pellat fährt fort: „Die Aussagen des ḥadīṯ sind dagegen völlig klar und besonders streng, wie an-Nuwairī bemerkt, der sie gefälliger­weise in seiner Nihāya (II 204–10) gesammelt hat und die Ansichten der Gefährten und der fuqahāʾ über diese Frage hinzufügt ...[54]
Nach Ansicht (des Propheten) sollen der Aktive und der Passive getötet werden (yuq­talu/ uqtu­lū l-fāʿil wa-l-mafʿūl bihī,[55] Termini, die später in der Grammatik für Subjekt und für Objekt benutzt werden sollten) oder – prä­ziser: der Strafe unter­worfen werden, die für den des zinā Schuldigen, den Hurer, vorgesehen ist, also gesteinigt werden[56] … Diese ḥadīṯe zeigen durch ihre bloße Existenz, daß die Homo­­sexualität in der vor­islamischen Periode in Arabien nicht völlig unbekannt war, wahr­schein­lich ohne in der Beduinen­­­gesell­schaft häufig zu sein.[57]

Anders als Pellat, der die aḥādīṯ als zu Lebzeiten des Pro­pheten – oder ganz kurz danach – ent­standen ansieht (sonst könnte er aus ihrem Inhalt keine Schlüsse auf Zustände in der Ǧāhilīya ziehen und sonst könnte er nicht sagen, fāʿil und mafʿūl bihī seien später­hin Grammatik­termini geworden), sehe ich es eher wie J. A. Bellamy:
„… ḥadīṯ und aḫbār, die man kurz ‚Anek­­do­ten‘ nennen kann, wurden von den frühen Mus­limen eifrig erfunden, gesammelt und weiter­­gegeben. … Diese Anek­doten wurden von einer Gruppe in Umlauf gesetzt, die gemein­hin als ahl al-ḥadīṯ oder aṣḥāb al-ḥadīṯ bezeichnet werden. Die Geschichte dieser Bewegung ist in groben Umrissen bekannt, aber die Einzel­­heiten sind dunkel, weil es meist unmög­lich ist, eine bestimm­te Anek­dote zu da­tieren [bzw. weil die Einzel­­heiten dunkel sind, ist es meist unmöglich A.S.]. Sie be­gann in Medina im ersten Jahr­ ­hundert und die fuqahāʾ leisteten erst Wider­stand. Sie wurde langsam stärker und erlebte eine richtige Blüte im zweiten/ achten Jahr­hun­dert.[58]

Trotz der bedeutenden neuen Erkennt­nisse zur mündlich-schrift­­lichem Weiter­­gabe von Wissen in der Früh­zeit des Islam (S. Leder, G. Schoeler u.a.) und der detaillier­ten Kritik Motzkis an Gold­ziher, Schacht und Juynboll halte ich alle dem Propheten zu­ge­­schrie­benen Sprüche über Sodomiter für fromme Fälschung. Motzki ist beizu­­pflichten, wenn er vermutet, daß in den ersten 150 Jahre wenig Propheten­­sprüche gefälscht wurden. Solange die Juristen ihre Responsa nicht mit Propheten­­sprüchen stützen muß­ten – und ʿAṭāʾ b. Abī Rabāḥ (gest. 115) beruft sich nur in 1% der Responsa auf Mu­ḥam­­mad und das auch noch ohne isnād (zumindest in Motzkis sample) – gab es wenig Veran­­las­sung zu Fälschungen. In den nächsten hundert Jahren wurde umso fleißiger gefälscht; wie sonst hätte Buḫārī 600000 Sprüche finden können (von denen er nur 1 % für sicher ansah), wie sonst hätte sich die Anzahl der Propheten­sprüche, die von Ibn ʿAbbās berichtet werden, von 9 oder 10, von denen Yaḥyā b. Saʿīd al-Qaṭṭān [gest. 198] Wind bekommen hatte, auf 1660 zur Zeit Ibn Ḥazms [gest. 456/1064][59] ver­mehren können?

Aufgrund der klassischen asbāb an-nuzūl-Literatur und einer Stelle aus Motzkis Grund­quelle, ʿAbdal­raz­zāqs Muṣannaf, gehe ich davon aus, daß der Prophet für alle wichtigen Fragen, in denen er von der Praxis der Ǧāhilīya abweichen wollte, eine Offen­barung bekam. Vor dem Hinter­grund der Ab­­schaf­fung der Adoption, der qaḏf-Offen­­ba­rung und anderen Fällen oppor­­tuner Ein­­flüste­rungen des Pro­pheten, sowie dem Spruch ʿAṭāʾs, den sein Schüler Ibn Ǧuraiǧ nach II 233 fragte (Motzki übersetzt die Antwort: „… Es wird berichtet (yurwā), daß [der Vers] unter den Menschen [geoffenbart worden] ist, als sie über die Still­zeit uneinig waren.[60]), ist es sehr wahr­schein­lich, daß alle Anord­nungen, die auf einigen Wider­stand stießen oder hätten stoßen können, weil sie von der sunna des Ḥiǧāz abwichen, durch Offen­barung und nicht durch einfache Muḥammad’sche Anweisung geregelt wurden.

Aufgrund der Forschungen Motzkis gehe ich davon aus, daß nicht mehr als 600 aḥādiṯ richtig sind; falsch dürften insbesondere solche sein,

– die auffällige Parallelen in jüdischen, christ­lichen oder persischen Sprüchen, Maximen oder Regeln haben,
– an deren Existenz bestimmte Gruppen aus der Zeit, in der sie zuerst einwandfrei zu belegen sind, Interesse hatten,
– die Sachverhalte regeln, bei denen es Uneinig­keit zwischen den ṣaḥāba gibt. Denn hätte der Prophet die Sache wirklich geregelt, dürfte es keine Uneinig­keit geben (dies sieht auch Ibn Ḥazm[61] so);
– ferner solche, für die frühe Überlieferer­­ketten vor dem Propheten endeten, später aber bis zu ihm führen (dies sieht auch Juynboll[62] so).[63]

Inhalt der aḥādīṯ

Im ersten großen auf uns gekommenen Werk voller aḥādīṯ,[64] dem Muwaṭṭaʾ[65] des Medinensers Mālik b. Anas (gest. 179/795), finden wir:

Mālik berichtet mir [Yaḥyā], daß er [Muḥammad b. Muslim] Ibn Šihāb [az-Zuhrī] über denjenigen fragte, der das Tun der Sodomiter tut (allaḏī yaʿmalu ʿamal qaum Lūṭ). Ibn Šihāb sagte: Er ist zu steinigen (ʿalaihi ar-raǧm), sei er zur Wahrung der Keuschheit verpflichtet [66] oder nicht (aḥṣana au lam yuḥṣin).

Da hier von raǧm die Rede ist, kann angenommen werden, daß diese Bestimmung in Anlehnung an den ‚Steinigungsvers‘ entstand, welcher seinerseits in Anlehnung an Deutero­nomium XXII 22 ent­standen sein dürfte.[67] Im Qurʾān ist ja von raǧm nur im Zusammen­hang mit dem ‚Steinigen‘ von Pro­pheten durch Ungläubige die Rede. Paret übersetzt alle sechs Stellen (XI 91; XVIII 20; XIX 46; XXVI 116; XXXVI 18; XLIV 20) mit „steinigen, d.h. mit Stein­würfen verjagen“. Man beachte auch Lukas IV 29: sie „standen auf und stießen ihn zur Stadt hinaus und führten ihn an den Rand des Berges, darauf ihre Stadt gebaut war, daß sie ihn hinab­stürzten.“ In der Bedeutung ‚zu Tode steinigen‘ ist raǧm nach-qurʾānisch.

Auch die knappe Präzisie­rung aḥṣan setzt schon entwickel­ten fiqh voraus, in dem „muḥṣan“ – wörtlich ‚geschützt, gestärkt‘ und in frommer Rede auch ‚tugend­­haft, standhaft‘ – terminus tech­nicus für den geworden war, der schon die Freuden legalen Geschlechts­­verkehr mit einer Gattin (oder Sklavin) genossen hat ( Zusatz : – bei Šīʿiten: und zur Zeit genießen kann).

In den nächsten zwei (erhaltenen, gefundenen, edierten) Spruch­samm­lungen, dem an mekkanischem Material reichen Muṣannaf des Jemeniten Abū Bakr ʿAbdarrazzāq b. Hammām b. Nāfiʿ al-Ḥimyarī aṣ-Sanʿānī (gest. 211/827) und dem Muṣannaf des Kufiers Abū Bakr ʿAbdallāh b. Muḥammad b. Abī Šaiba (gest. 235/849), finden wir zwar 26 Sprüche, die meisten stammen von Propheten­genossen, viele von Nach­folgern; nur ein Propheten­­wort hat rechtlichen Charakter: uqtulū l-fāʿil wa-l-mafʿūl bihī, yaʿnī allaḏi yaʿmal ʿamal qaum Lūṭ – übrigens geht der Spruch weiter: und wer das Vieh beschläft (atā), tötet ihn und tötet das Vieh!

In den beiden ṣaḥīḥ-Sammlungen – der von Buḫārī (gest. 256/870) und der von Muslim (gest. 261/875) – gibt es zu liwāṭ nichts.

Aḥmad b. Ḥam­bal (gest. 241/855/6), der Begründer der nach ihm benannten auf aḥādīṯ angewiesen Rechts­schule, hat im Musnad einiges zusam­men­­getragen:
– Verfluchungen (I 217, I 309; I 317 in 3 Varianten)
– die kleine lūṭīya (II 182, II 210 – also 2 Varianten) (s. S. 54)
– „ich fürchte für meine Gemeinde wegen …“ (III 382)
– Nicht-unter-einer-Decke-Schlafen in 7 Varianten (II 497; III 348, 356, 398, 395; IV 134, 135)
– und mit der größten juristischen Bedeutung: fa-qtulū -fāʿil wa-l-mafʿūl bihī = tötet (exekutiert) den Aktiven und den Passiven. In den sunan von Ibn Māǧa (gest. 273/886), Abū Dāud (gest. 275/888) und at-Tirmiḏī (gest. 279/892) finden sich ein paar Sprüche, was weniger auf ihre Wohl­über­liefert­­heit hin­deutet, als darauf, daß sie von fuqahāʾ gebraucht wurden.[68]

Neben dem „Ich fürchte um meine Gemeinde“-Spruch (Ibn Māǧa 2606; Tirmiḏī 24.4) und einem „Verflucht sei“-Spruch (Tirmiḏī 24.2), so wie einem ebenfalls nicht rechtlichen ḥadīṯ („Gott schaut nicht auf …“ Tirmiḏī 1176), finden wir: den ḥadīṯ, nach dem der fāʿil und der mafʿūl bihī hin­gerichtet werden sollen (Ibn Māǧa 2604, Tirmiḏī 24.1, Abū Dāūd, sowie in einer Variante Tirmiḏī 24.3), den auch Ibn Ḥam­bal bringt – und zwar mit fünf gleichen Gliedern,[69] was nach Juynboll für die Fälschung durch das fünfte Glied spricht; ferner ein ḥadīṯ, nach dem der aʿlā und der asfal gesteinigt werden sollen (Ibn Māǧa 2605) sowie ein ḥadīṯ, nach dem der bikr (das ist der ġair muḥṣan) gesteinigt werden soll (Abū Dāūd).

In der von Pellat erwähnten Auflistung von Nuwairī – und dessen Vorlage: Ibn al-Ǧauzīs Ḏamm al-hawā[70] – finden wir 41 ‚Anekdoten‘ : neben den „Verflucht sei“- und „Ich-fürchte“-, sowie dem „Gott-schaut-nicht“- und den Tötungs- und Steinigungs-aḥādīṯ, aḫbār über Rechts­sprüche der ṣaḥaba, die Meinungen der Gründer der sunniti­schen Rechts­schulen, sowie zwei Aussprüche über die lūṭīs am Jüngsten Tage:

… nach ʿAbdallāh b. ʿAmr: Die lūṭīs werden am Tag des Jüngsten Gerichts in Form von Affen und Schweinen erscheinen.

nach Ibn ʿAbbās: Wer aus der Welt in einem [bestimmten] Zustande geht, kommt aus seinem Grab in jenem Zustande heraus, wenn [also] der lūṭī am Tag des Jüngsten Gerichts heraus ­kommt, haftet sein Penis am Hintern seines Gefährten und beide stehen bloßgestellt an der Spitze der Geschöpfe.

NACHTRAG
leider habe ich die schi’itischen Hadith-Sammlungen ignoriert. Es gibt vier wichtige (https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Shia_books#Hadith_collections)
Neben viel Juristischem, das nicht stark im Material der Sunniten abweicht, gibt es eine aufschlussreiche Anekdote in al-Kāfī, K. an-Nikāḥ 186. Darin macht sich Iblīs schön, um die Sodomer zur Sodomie zu verleiten.

– عَلِيُّ بْنُ إِبْرَاهِيمَ عَنْ أَبِيهِ عَنْ أَحْمَدَ بْنِ مُحَمَّدِ بْنِ أَبِي نَصْرٍ عَنْ أَبَانِ بْنِ عُثْمَانَ عَنْ أَبِي بَصِيرٍ عَنْ أَحَدِهِمَا (عَلَيْهِما السَّلام) فِي قَوْمِ لُوطٍ (a.s) إِنَّكُمْ لَتَأْتُونَ الْفاحِشَةَ ما سَبَقَكُمْ بِها مِنْ أَحَدٍ مِنَ الْعالَمِينَ فَقَالَ إِنَّ إِبْلِيسَ أَتَاهُمْ فِي صُورَةٍ حَسَنَةٍ فِيهِ تَأْنِيثٌ عَلَيْهِ ثِيَابٌ حَسَنَةٌ فَجَاءَ إِلَى شَبَابٍ مِنْهُمْ فَأَمَرَهُمْ أَنْ يَقَعُوا بِهِ فَلَوْ طَلَبَ إِلَيْهِمْ أَنْ يَقَعَ بِهِمْ لأبَوْا عَلَيْهِ وَلَكِنْ طَلَبَ إِلَيْهِمْ أَنْ يَقَعُوا بِهِ فَلَمَّا وَقَعُوا بِهِ الْتَذُّوهُ ثُمَّ ذَهَبَ عَنْهُمْ وَتَرَكَهُمْ فَأَحَالَ بَعْضَهُمْ عَلَى بَعْضٍ.

4. Ali ibn Ibrahim has narrated from his father from Ahmad ibn Muhammad from ibn abu Nasr from Aban bin ‘Uthman from abu Basir who has said the following: “One of the two Imam, (abu Ja’far or abu ‘Abd Allah), ‘Alayhim al-Salam, has said, ‘In the case of the people of Lot mentioned in the Quran: “You engage in such indecent acts in which no one of the people of the world before had ever engaged,”’ He (the Imam) said, ‘Iblis (Satan) came to them in the form of a good looking person with femininity, with good looking clothes and he came to their young ones and asked them to have sex in his anus. Had he asked them to allow him have sex in their anus they would refuse but he did the opposite and when they did as he wanted them to do they enjoyed it. He went away and left them to engage in such indecent act with each other.’” https://thaqalayn.net/hadith/5/3/186/4

[42] Robert Roberts: Das Familien-, Sklaven- und Erbrecht im Qorān, Leipzig, 1908 (Leipziger Semitische Studien II.6), S. 29
[43] at-Tafsīr al-wādih, al-Qāhira: Maṭbaʿat al-Istiqlāl al-kubrā, 61969.
[44] Fī zilāl al-Qurʾān , al-Qāhira: ʿĪsā al-Bābī al-Ḥalabī, o.J. [1960], IV S. 94.
[45] Sehr ähnlich in IX 70.

[46] Vgl. Josef Horovitz: Koranische Unter­suchun­gen, Berlin: de Gruyter, 1926 (Stu­dien zur Geschichte und Kultur des islamischen Orients IV), S. 15, 21–27.

[47] Parallele in VII 4: Wie manche Stadt haben wir (zur Strafe für den Unglauben ihrer Bewohner) zugrunde gehen lassen. (Paret)

[48] Parallele in VII 77: „Bring uns was du androhst, wenn du (wirklich von Gott) gesandt bist!“

[49] Ich halte mich in diesen Dingen an den ʿuṯmāni­schen Qurʾān der Muslime. Wann er „eigen­tlich“ Gestalt annahm und ob er aramŠaischer zu lesen ist, interessieren hier nicht.

[50] Auch bei Ṭabarī: Taʾrīḫ ar-rusul wa-l-mulūk, kitāb I, bāb LII; Hg. de Goeje, Leiden: Brill, I.1 (1879), S. 328f.

[51] Zaid b. ʿAlī b. Ḥusain, Hg. Eugenio Griffini: Corpus Iuris, Milano: Ulrico Hoepli, 1919, Nr 1006.

[52] Raudāt aṣ-ṣafāʾ, o.O., 1845, I S. 51,5–7; Übers. E. Lamairesse, Paris: Carré, 1894, S. 46.

[53] Liwāṭ in Encyclopédie de l’islām V, Paris: Brill, 1983, S. 782; in Englisch, Leiden: Brill, 1983, V S. 776.

[54] An-Nuwairī hat hier nichts zusammengestellt, er hat lediglich von Ibn al-Ǧauzī abgeschrieben. Lois Anita Giffen stellt in ihrer Theory of Profane Love among the Arabs (New York: New York University Press, 1971, S. 146f.) fest: „In (der) Enzyklopae­die (Nihāyat al-arab fī funūn al-adab) von Abu l-ʿAbbās Ahmad ibn ʿAbdalwahhāb an-Nuwairī (gest. 732/1332) ist der Groß­teil des 3. Kapitels des 1. Teiles des 2. Fann der Liebes­theorie gewidmet. Das ganze Material ist aus Ibn al-Ǧauzīs Ḏamm al-hawā abge­schrieben. Mehrmals zitiert er Ibn al-Ǧauzī und sein Buch in einer Weise, daß man denken sollte, daß nur gerade dieser Abschnitt … übernommen wurde, wo doch in Wirklichkeit alles andere auch von Ibn al-Ǧauzī stammt. Meistens läßt Nuwairī den isnād weg … Doch mit der Ausnahme von einigen Zeilen, wenn ein neuer Gegenstand beginnt, kopiert er Wort für Wort.“ – Bei unserem Gegenstand läßt er einige Juristenmeinungen fort, bringt ‚dafür‘ aber eine Bemerkung über die Namen der untergegangen Städte und einen hadīṯ nach Abu l-Faraǧ: „Wer Knaben lüstern küßt, den bestraft Gott mit tausendjährigem Feuer …“.
[55] Ich habe mir erlaubt, die EI-Umschrift anzupassen.
[56] ‚Ḥadd az-zinā‘ und ‚raǧm‘ sind nicht äqui­valent, wie Pellat glaubt: für den ġair muḥṣan bedeutet ‚hadd az-zinā‘ Auspeit­schung und Ver­bannung.

[57] Liwāṭ in Encyclopédie de l’islām, V S. 782; in der englischen Über­setzung, V S. 776.

[58] Bellamy, a.a.O., S. 25f.

[59] Asmāʾ aṣ-ṣahāba ar-ruwāh, in Ǧawāmiʿ as-sīra, Hg. Ihsān ʿAbbās, al-Qāhira: Makta­bat al-Qurʾān, o.J. [ca. 1988], S. 276. Ein frommer Erklärungs­versuch: die 9 oder 10 hat er direkt vom Propheten, die anderen von Zeugen oder Zeugesspanzeugen gehört.

[60] ʿAbdar­razzāq, VII, Nr 12173; Harald Motzki, Die Anfänge der islami­schen Juris­prudenz, Stuttgart: Steiner, 1991, S. 103; Übers. M. H. Katz, The Origins of Islamic Jurisprudence: Meccan fiqh before the Classical Schools, Leiden: Brill, 2002, S. 113.

[61] al-Muhallā, vgl. S. 96.

[62] Juynboll: “The Development of Sunna as a Term” in Jerusalem Studies in Arabic and Islam X, 1987, S. 100: “The simple fact that reports with isnāds ending in ʿAṭāʾ have survived next to the same reports supported by isnāds ending in older authorities, makes it more than likely that ʿAṭāʾ has to be considered as the originator of the precepts contained in these reports.”

[63] Diese Ver­länge­rung, Erhöhung/rafʿ, eines isnād, die Rückwärts­projektion eines ṣahābī-Spruches auf den Propheten darf nicht mit der Verbesserung eines isnād mursal in einen isnād muttaṣil verwechselt werden, wo „nur“ das fehlende Glied auf der Stufe der ṣahāba ergänzt wird. Da vor aš-Šāfiʿī keine lücken­lose Kette gefordert war, können frühe (!) asānīd mursala durch­aus echt sein. Doch wenn Rechtsgelehrte erst mit einer eigenen Rechts­auskunft zitiert werden und später genau die gleiche nun vom Propheten gehört haben sollen, so werden Gut­mütigkeit und Leichtgläubigkeit auf eine harte Probe gestellt.

[64] Nicht ‚hadīṯ-Werk‘ : es handelt sich um ein fiqh-Werk, in dem Mālik den medinensischen iǧmāʿ oder gar seinen raʾy vorstellt, ohne alles mit (Qurʾān und) hadīṯ zu belegen. Siehe hierzu Yasin Dutton: “ʿAmal v. Ḥadīṯ in Islamic Law,” in Islamic Law and Society III, 1996, S. 1–40.

[65]Riwāyat Yahyā b. Yahyā al-Laiṯī, kitāb al-hudūd (k. 41) 1.11 = al-Qāhira: Dār al-ihyaʾ al-kubrā al-ʿarabīya, 1370/1951, S. 825 = Bairūt: Dār al-Aflāq al-Ǧadīda, 1405/1985, S. 714

[66]Vgl. Motzki: „Wal-muḥṣanātu mina n-nisāʾi illā mā malakat aimānukum (Koran 4:24) und die koranische Sexualethik“, in Der Islam LXIII, 1983, S. 57–65.

[67] J. Schacht: Zināʾ in 1EI IV S. 1328; siehe Gaudefroy-Demombynes: Radjm in 1EI III S. 1181.

[68] Th. W. Juynboll: Ḥadith in 1EI II S. 204: „[die Sunan] enthalten nicht nur Traditionen, die als ṣahīh gelten, sondern … überhaupt alle Über­lieferun­gen, auf welche die Gelehr­ten sich bei der Aus­arbeitung des Gesetzes berufen haben, selbst wenn man übrigens gegen ihren Isnād Bedenken hegen kann“.

[69] Und zwar: (1) der Prophet – (2) ʿAbdallāh b. ʿAbbās – (3) dessen im Jahr 105 gestorbener maulā ʿIkrima – (4) Abū ʿUṯmān ʿAmr b. Abī ʿAmr – (5) ʿAbdalʿazīz b. Muhammad. Bei at-Tirmiḏī und Ibn Māǧa ist auch das sechste Glied, ihr unmittel­barer Gewährs­mann, gleich: Muhammad b. ʿAmr. Es sei ange­merkt, daß schon ʿAbdar­razzāq den hadīṯ hat – mit nur drei gleichen Gliedern.

[70] Ibn al-Ǧauzī: Ḏamm al-hawā, S. 197–210.

liwāṭ im fiqh 02 – Definition

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 10.Januar 2010 at 10:20

Die Übersetzungen „Homo­­sexualität“ und „Päd­erastie“.[1]für liwāṭ, welche man in modernen Wörter­büchern findet, sind falsch. Die Defini­tion der alten arabi­schen Wörter­­­bücher (ʿamal qaum Lūṭ), besagt nicht viel, besagt aber immer­hin, daß es sich um ein Tun, eine Tätig­keit, eine Aktion oder Praxis handelt, zeigt auf den ersten Blick, daß Homo­­sexu­a­li­tät, als „Ver­an­lagung,  Persön­lichkeits­zug, Neigung“, als „Sich-sexu­ell-zu-Per­sonen-des-eignen-Geschlechts-hinge­zogen-Fühlen“ nicht gemeint sein kann. So bleibt nur das induk­tive Ver­fahren: – das Studium von Wörtern des Stammes l-w-ṭ (Wort­familie) – das Studium des Gebrau­ches all dieser Wörter (in ver­schie­denen Kon­­tex­ten) – das Studium des Wort­felds, also das Studium von Wörtern anderer Stämme mit ver­wandten – oder entgegen­gesetzten – Bedeu­tungen. [52]

Grammatische Bestimmung – Wurzel

Das Wort liwāṭ ist maṣdar zu lāṭa (bi) oder zum – fast immer transi­­tiven – 3.  Stamm, lāwaṭa, der denomi­na­tiv zum Namen des bibli­schen Vetters von Abraham, des qurʾā­nischen Pro­pheten Lūṭ ist. Das Verb des 5.  Stamms, talau­waṭa,.[2] ist fast synonym zu lāṭa bi.[3] Mit dem Verb des ersten Stamms, lāṭa = „anhaften, sich an­schließen“ dürfte liwāṭ nicht verwandt sein. Der liwāṭ Aus­führende (fāʿil) heißt lūṭī, lāʾiṭ, mulāwiṭ oder mutalauwiṭ. Der, an dem liwāṭ ausgeübt wird (mafʿūl), heißt malūṭ (bihī). lūṭiya ist nicht das weib­liche Gegen­­stück zum lūṭī, son­dern bezeichnet die Hand­­lung, ist also synonym zu liwāṭ, liwāṭa und mulāwaṭa.[4] In der Literatur gibt es nirgends eine *lutende[5] Frau; nur Männer betreiben liwāṭ. [53]

Einschub

In JAIS 14 (2014) 213-227 geht Pierre Larcher ausführlich auf das Wort ein. Unglücklich bin ich nur darüber, dass er mich an einer Stelle miss­ver­standen hat und dass er angibt, der Artikel »liwāṭ« der EI verstehe darunter Sodomie. Ja, der Artikel beginnt mit der korrekten Übersetzung, aber alles was folgt ist ein Artikel über Homosexualität, nicht über Analverkehr, der Artikel schließt sogar Tribadie ein, was im Arabien (und im sunni­tischen Recht) rein gar nichts mit liwāṭ zu tun hat.

Larcher interessiert sich mehr für das Wort als für das damit bezeichnete Tun, bemerkt, dass die Verben des ersten Stammes lāṭa, yalūṭu und des dritten lāwaṭa das gleiche Verbal­nomen haben, welches das Bildemuster mit ǧimāʿ Vereinigung/ Koitus teilt und dass das fast synonyme Verb des fünften Stammes talauwaṭa nicht Gegenseitigkeit impliziere sondern nur Teilnahme.

Schön ist folgende Beobachtung: « Seule la restriction de sens de liwāṭ permet d’en com­prendre l’extension : c’est parce qu’il désigne non pas l’homo­sexualité masculine en gé­né­ral, mais la sodomie en particulier, qu’il peut désigner le coït anal, non seulement entre hommes, mais aussi entre un homme et une femme. » Nur weil die Bedeutung von liwāṭ eingeschränkt ist, konnte sie erweitert werden: Weil sie nicht jeden mann-männ­lichen Sexualakt bezeichnet, kann sie auch den mann-fraulichen Analverkehr bezeichnen.

Meine Bemerkung zu talauwaṭa in Fußnote 3 „Zu Grunde liegen dürfte eine Bedeutung wie bei tanaṣ­ṣara (also zum lūṭī werden), oder wie bei tanammara (also sich wie ein lūṭī benehmen);“ versteht er miss, meint mit „oder“ sei „ent­weder-oder/ aut“ gemeint; ich meinte aber „bzw./ oder auch/ vel“.

In einer Fußnote moniert er, dass weder für mulāwiṭ noch mulāwaṭa von Pellat oder mir Belege zitiert werden, die Wörter seien zwar formbar, aber unbelegt. Zu meiner Ent­schul­di­gung: Ich hatte den Artikel als islam­wissenschaft­liche Magisterarbeit geschrieben bevor der entspreche Band des Wörterbuches des Klassischen Arabischen Sprache erschienen war, veröffentliche ihn unverändert in JAIS, weil Gudrun Krämer als zu knapp und zu dünn ablehnte.

Juristische Belegstellen

In aḥādīṯ über Strafen für liwāṭ ist meist von einem fāʿil und einem mafʿūl bihī die Rede, oder synonym dazu von aʿlā und asfal, bei ǧaʿfari­ti­schen Juristen auch von lūṭī und malūṭ (bihī) sowie von ātī und muʾtā. Mit liwāṭ ist also nicht das gemeint, was einer für sich tut, auch nicht was meh­rere gemein­schaft­lich oder ein­ander tun, sondern etwas, was einer einem anderen (an-)tut. Diese ‚ein­seitige‘, ‚transi­tive‘ Sicht wird an einer Ansicht Abū Ḥanīfas deutlich, nach der die Handlung nur vom fāʿil ausgehe, daß nur er die Initiative ergreife; Kāsānī (gest. 587/1191) schreibt: „Bei liwāṭ liegt der Entschluß nur beim Werben­den und ist auf der Seite des Objekts über­haupt nicht nötig[6]; ähnlich bei Saraḫsī[7] (gest. 500/1106 oder früher) und dem 592/1197 gestor­benen Trans­­oxa­nier Marġīnānī.[8] Was nun mit fāʿil und mafʿūl bihī genau gemeint ist, sagen weder die aḥādīṯ noch die sunniti­­schen Juristen: es wird als bekannt vor­aus­­gesetzt. Daß für sie pedicatio an männ­lichen und weib­­lichen Per­sonen zusam­men­­gehören, zeigt die Stelle beim Šāfiʿiten Abū Zaka­rīyāʾ Yaḥyā an-Nawawī (gest. 676/1277) (wa-dubr ḏakar wa-unṯā)[9] und auch der Anfang des betreffen­den Kapitels bei Marġīnānī: „Wer eine Frau im has­sens­­werten Ort beschläft oder ʿamal qaum Lūṭ tut, begeht nach Abū Ḥanīfa keine ḥadd-Tat.[10] Noch deut­licher Ḥaṣkafī (gest. 1088/1677) in seinem ad-Durr al-muḫtār: „… das Koitieren in ano: die Beiden [Abū Yūsuf und Muḥ. aš-Šaibānī] sagten [dazu]: Wenn es an Frem­den [gleich welchen Geschlechts A.S.] gemacht wird, fällt es unter ḥadd-Verbot. Und wenn es an seinem Sklaven (fī ʿabdihī) oder seiner Sklavin oder seiner Frau [gemacht wird], fällt es nach dem Konsens nicht unter ḥadd-Verbot …[11] [54] Ähnlich klar in Ibn ʿĀbidīns (gest. 1252/1856) Kommen­tar dazu: er erläutert „Koitieren in ano (waṭʾ dubr)“ mit „Anus des Jüng­lings (dubr aṣ-ṣabī), der Ehefrau und der Sklavin.[12] So beim Ḥanba­li­ten Ibn Qudāma (gest. 620/1223) und seinem Kommen­­ta­­tor ʿAbdar­raḥmān b. Ibrāhīm al-Maqdisī (gest. 624/1227). Ibn Qudāma: „Wer das Abscheu­­liche in vaginam vel anum einer Frau, die er nicht besitzt, oder eines Knaben (ġulām) tut …“; dazu al-Maqdisī: „Das ver­botene Koitieren in ano ist das Abscheu­liche, wes­wegen Gott zum Volke Lūṭs gesagt hat: ‚Begeht ihr das Abscheu­liche?‘ [xxix 28] d. h. das *Luten in den Hintern eines Mannes. Frage: Wer einen Knaben *lutet …[13] Daß sich liwāṭ auch auf Pedi­catio von Frauen bezieht, sieht man ferner an einem von Aḥmad b. Ḥanbal[14] und Abū Dāūd aṭ-Ṭayā­lisī[15] über­­liefer­ten ḥadīṯ: al-lūṭīya aṣ-ṣuġrā yaʿnī ar-raǧul yaʾtī mraʾatahū fī dubrihā (Der kleine Anal­­koitus, also wenn der Mann seine Frau in ano koitiert). Unklar ist, ob er „klein“ genannt wird, weil es sich um eine weib­liche Person handelt, oder weil es sich, um eine Person handelt, die zu beschlafen man das Recht hat, es sich also nur um die falsche Öffnung handelt. Eine weitere Be­leg­stelle bietet Masʿūd b. ʿUmar at-Taftāzānī aš-Šāfiʿī (gest. 791/1389 oder später); er schreibt im Šarḥ ʿala l-ʿAqāʾid an-Nasa­fīya:[16] wa-fi stiḥlālihi l-liwāṭa bi-mraʾatihī lā yukaffaru ʿala l-aṣaḥḥ (Wer das *Luten der Ehefrau erlaubt, wird dadurch nach der richtigeren Meinung nicht zum Nichtmuslim).[17] Es ergibt sich für liwāṭ eine – der bibli­schen Erzählung (Gen. XIX 1–[55] Luther­­über­­setzung) entsprechende – Bedeutung von Sodo­mie/sod­omy/sodo­mie: Pedi­catio. Meist bezieht es sich auf Pedicatio von Knaben, selte­ner von Männern, manchmal von Frauen, selten von Eunu­chen. Den Ausdruck ʿamal qaum Lūṭ fand ich nie auf Frauen bezogen; hier wird selten liwāṭ, häufiger liwāṭa und noch öfter lūṭīya benutzt. Im weiteren Sinn kann liwāṭ auch „Koitus“ zwischen den Schenkeln (tafḫīḏ und mufāḫaḏa) und zwischen den Pobacken bezeichnen (siehe dazu den Ǧaʿfariten al-ʿĀmilī). Die Aus­führungen im Sexual­­hand­buch at-Tifāšīs (siehe unten) zeigen, daß es sich hier um einen Ersatz für liwāṭ handelt, den der lūṭī eigentlich anstrebt. Eine andere Begriffs­ausweitung findet sich bei Moralisten; so spricht Ġazzālī in Iḥyāʾ ʿulūm ad-dīn[18]> nicht nur von „liwāṭ der Tat“, sondern auch von „liwāṭ des Blickes“ und „liwāṭ der Berüh­rung“. Es handelt sich hier um einen metapho­ri­­schen Gebrauch des Wortes, der die Normal­bedeutung als bekannt voraus­setzt, bei dem es klar ist, welche Tat (fiʿl) gemeint ist. Er stellt die drei Arten des liwāṭ nicht  ‚gleich­berechtigt‘ neben­einander,  er beab­­sichtigt keines­­wegs, Blicken und  bloßes Berühren als liwāṭ zu definieren. Es geht mehr um ein Wehret-den-Anfängen.[19]

Nicht-juristische Belegstellen

Um letzte Zweifel an der Richtigkeit der Definition ‚Pedicatio – an Knaben, Jüng­lingen, aber auch an Männern und Frauen‘ auszu­­räumen, möchte ich nun Beispiele aus der nicht-juristi­schen arabischen Literatur des Mittel­­alters bringen. Im 10. Kapitel des Rušd al-labīb ilā muʿāšarat al-ḥabīb des Ibn Falīta (gest. 231/845), Fī tafḍīl al-ġilmān, ist immer wieder vom Burschen­­­ficken (naik al‑ġilmān) die Rede; dabei kann es sich ja wohl nur um anale Pene­tra­­tion handeln. Besonders deutlich ist die Gedicht­stelle:

ṭāba l-liwāṭu fa-lūṭū aiyuhā l-ʿarabū … nīkū ġulāman ...[20]

Ganz und gar bestätigt wird dieser Eindruck durch den umfang­reichen [56] zweiten Teil des mit Anek­do­­ten gespickten Sex­rat­­gebers Nuzhat al-albāb des tunesischen qāḍī, Arztes und Mineralogen Abu l-ʿAbbās Aḥmad b. Yūsuf at-Tifāšī (gest. 651/1253).[21] Auch dafür, daß liwāṭ nicht nur anders als Homo­sexuali­tät ist (Tun, nicht Persönlichkeits­merkmal; Aktivität nicht Anlage), nicht nur enger bezüg­lich der Personen (Frau-frauliches fällt nicht darunter), nicht nur enger bezüglich der Prakti­ken (fellatio, Küssen, mutuelle Masturba­tion, frictio inter abdomina zählen nicht zun), sondern auch weiter ist, nämlich Pedicatio weiblicher Personen einschließt, liefert die nicht-juristische Literatur ein her­vor­­ragen­des Beispiel. Bei Abū Nuwās findet man einen Vers:

ʿalaiya ʿainun wa-uḏnun min muḏakka­ratin *
mauṣūlatin bi-hawā l-lūṭīyi wa-l-ġazili, [22]

den E. Wagner so übersetzt:[23]

Mich hält ein bewachendes Auge und Ohr von einem Knabenmädchen ab,
das mit Päderasten und Mädchenliebhabern in Beziehung steht.

Mit dem gebräuchlichen Synonym zu muḏakkara, mit ġulāmīya,[24] schrieb Abū Nuwās einen weiteren ʿaǧuz (zweiten Halbvers):

taṣluḥu li-l-lūṭīyi wa-z-zānī

sie ist geeignet für den lūṭī und den zānī

Der ṣadr lautet im Dīwān[25]: maṭmūmatu š-šaʿri ġulāmīyatun (das Knaben­mädchen mit offenem Haar ist geeignet für den lūṭī und den zānī), und in Alf laila wa-laila[26] lautet er: mamšūqatu l-ḫaṣri ġulāmīyatun (das Knaben­mädchen mit ent­zückenden Hüften ist für lūṭī und zānī gut).[27] Enno Littmann übersetzt:

Die schlanke Maid, die einem Knaben gleicht, * Taugt für den Wüstling und den Ehebrecher.[28]

Der ḥanafitische Jurist Saraḫsī belegt mit diesen Vers, daß lūtī und zānī sich aus­schlie­ßende Begriffe sind[29] ein Argument, das Ibn al-Humām in Fatḥ al-qadīr – ohne seinen Kollegen nament­lich zu erwähnen – mit der Begründung zurückweist, daß Abū Nuwās kein Araber reinen Geblüts sei und daß man deshalb seinen Sprach­gebrauch nicht bei der Aus­legung von Qurʾān und Ḥadīṯ heran­ziehen dürfe.[30]

Da liwāṭ Anal-Pene­­tra­tion meint und nicht Verkehr mit einer Person des eigenen Geschlechts umfaßt es selbst­verständ­lich auch die Pene­tration von Eunuchen.[31]

‚Homo­sexualität‘ – falsch oder nicht ganz richtig übersetzt?

Nun entspricht „Ehebrecher“ zānī so wenig, wie „Homo­sexueller“ (oder „Wüstling“) lūṭī bedeutet; und Littmann ist nicht der einzige, der so über­setzt. Andere übersetzen zinā mit „Unzucht“. Wie kommt es zu diesen Irr­tümern? – Ein Europäer findet in arabischen Texten ein Verhalten als zinā bezeichnet, das seine Sprache als „Ehebruch“ faßt, und schon glaubt er „Ehebruch“ und zinā gleichsetzen zu können. Daraus, daß die Bezeich­neten­mengen zweier Begriffe sich über­lappen (ja selbst wenn sie sich deckten), folgt keine Über­ein­stimmung der Begriffe (ja nicht einmal der Denotate derselben). Orien­ta­listen, die zānī und „Ehe­brecher“ gleich­setzen, verhalten sich wie der Araber, der nach Ant­werpen kam und „diamant­­slijper“ mit yahūdī übersetzte, weil alle Diamanten­­schleifer, die er traf, Juden waren. Während nämlich „Unzucht“ eine „das allgemeine Sittlich­keits­empfinden in grober Weise ver­letzende sexuelle Hand­lung[32] darstellt, bedeutet zinā einen objektiv für alle Zeiten gleich definierten Tat­bestand: Koitus oder zumindest Ein­­führung bzw. Auf­nahme des Penis (wenigstens der Eichel) in eine dem Ein­dringer ver­botene Vagina (im weiteren Sinn auch des Anus). Während „Ehe­bruch“ die „Ver­letzung der ehe­lichen Treue durch[33] „Beischlaf eines Ehe­gatten mit einem Dritten[34] bedeutet, meint zinā jeden Koitus (vollzogen oder ange­fangen) zwischen zwei Personen, die dazu weder durch Ehe noch Besitz legi­timiert sind – auch dann, wenn keiner der beiden ver­heiratet ist.[35]

Die von Tilman Nagel (und mir) gebrauchte Über­setzung „Hurerei[36] hat nur denselben Nachteil wie „Sodomie“ für liwāṭ: das Wort bedeutete früher das Richtige.[37] Um nicht miß­ver­standen zu werden, muß man wohl beim arabi­schen Ter­minus bleiben oder „Pedicatio“ verwenden, und bei zinā „Koitus mit einer Per­son, mit der man dazu nicht berechtigt ist“ sagen – „ille­ga­ler Geschlechts­verkehr[38] ist doppelt ungenau: da „Geschlechts­verkehr“ als jeder sexuelle, meist (!) genitaler Kontakt“ definiert ist, umfaßt es viel mehr als gewöhn­lichen Sex und das Ver­boten­sein von zinā rührt nur von den zwei (!) beteiligten Personen her, nicht von den Praktiken.

Noch einmal die Unterschiede zwischen liwāṭ und „Homo­sexualität“:

– Das eine bezieht sich nur auf Männer, während das andere sich auf beide Geschlechter bezieht. – Das eine bezeichnet eine Hand­lung, das andere nicht – sonst müßte man analog zu den arabischen Wörtern lāṭa und malūṭ bihī, im Deutschen ‚jemanden *homo­sexuellen‘ und ‚ein *Gehomo­sexuellter‘ sagen können. – Das eine stellt auf die Rolle beim Akt ab, das andere auf das Geschlecht des Objekts bzw. des Partners.[39]

(Zusatz 2007) Und auch ubna ist nicht „Homo­se­xua­li­tät.“ Manche Westler und vom „modernen“ Denken beeinflusste Araber, die zwar ver­ste­hen, dass die lā­ṭa nicht „die Homosexuellen“ sind, halten sie zusammen mit den maʾbū­nūn dafür: aktive und pasive Homos halt. – Khālid ar-Rūaihebs zitiert, ver­deut­licht den Unterschied zwischen beiden Begriffen: Während liwāṭ ein Tun – unabhängig vom Verlangen – bezeichnet, geht es bei ubna – und dem medizinischen Terminus ḥulāq – nur um das Verlangen, das krankhafte Bedürfnis, etwas in den den Arsch gesteckt zu bekommen. Und die Juristen sagen, dass jemand das Verlangen hat bedeutet ja noch nicht, dass er auch danach handelt, sei es dass er enthaltsam ist, sei es dass er sich mit einem Dildo selbst befriedigt.[39a]

Synonyma

Da es in dieser Arbeit nicht um das Wort liwāṭ geht, sondern um die recht­liche Beurtei­lung des damit bezeichneten Tuns – in Sonder­heit der Pedicatio von Männlichen –, habe ich nicht nur Stellen heran­gezogen, in denen von „ʿamal qaum Lūṭ“, „liwāṭ“ oder „lāṭa“ die Rede ist, sondern auch wo „waṭʾ fī dubr“, „nikāḥ ar-riǧāl“, „naik al-ġilmān“ oder Ähnliches steht. Der erst­genannte Ausdruck ist denotativ mit „liwāṭ“ synonym, eignet sich aber wegen der begriff­lichen Klarheit nicht für metaphorische Rede; „nikāḥ“ und „naik“ werden meist für Vaginal­koitus benutzt, was beim Beschlafen von Männern und Knaben nicht in Betracht kommt. Neben diesen klar ein Tun bezeichnen­den Begriffen, kommen auch Ausdrücke vor, die den Begriffen „Knaben­liebe“/„Männerliebe“ recht nah kommen: „mail ila l-ġilmān[40] und „mail ila ḏ-ḏakar[41] – darum kümmern sich die Juristen jedoch nicht, denn nicht jeder geht seinen Neigungen auch nach.

[1] Adam Mez ist schon auf dem rechten Weg: „Lūṭī … niemals Päderast über­haupt, sondern braucht zur Ergänzung [den Passiven]“ (Abulḳāsim, ein bagdāder Sitten­bild, Heidelberg: Carl Winter, 1902. p. LXII). Birgit Krawietz steht mit der Über­setzung „Straßen­raub“ isoliert da (Die Ḥurma, Berlin: Duncker & Humblot, 1991, p. 183).
[2] Ǧāhiz: Ḥayawān, Hg. ʿA. M. Hārūn, al-Qāhira: Muṣṭafā al-Bābī al-Ḥalabī, 1958, I S. 171; Miṣr: al-Maṭbaʿa al-Ḥamīdīya al-Miṣrīya, 1325/1907, I S. 79.
[3] Zu Grunde liegen dürfte eine Bedeutung wie bei tanaṣṣara (also zum lūṭī werden), oder wie bei tanammara (also sich wie ein lūṭī benehmen); der Zusammen­­­hang schließt die reziproke Bedeutung aus (ḫaṣī yatalauwaṭu wa-yaṭlubu l-ġilmān: ein Eunuch *lutet und verlangt nach Knaben); ġulām ist terminus technicus für den sich hin­gebenden Knaben kurz vor und kurz nach der Pubertät, bezeichnet jeden­falls keine (freien) Männer; wichtig ist auch, daß ḫaṣī den „nur“ seiner Zeugungskraft – nicht seines Organs – beraubten Eunuchen meint. Wäre talauwaṭa hier reziprok, brauchten, die Eunuchen nicht nach den ġilmān zu verlangen, sie könnten ja miteinander yatalauwaṭūn. Lutz Richter-Bernburg, der dankens­­werter­­weise mit adab-Stellen meine zu juristische Sicht der Dinge nuan­cierte, machte mich auf eine Stelle in Rāġib al-Iṣfahānīs Muhā­­darāt al-udabāʾ (Bairūt: Dār Maktabat al-Ḥayāt, 1961, III S. 251) auf­merksam, wo die Zwischen­­über­schrift einen maʾbūn muṭalauwiṭ ankündigt, der sich beschlafen läßt, aber nach außen so tut, als beschliefe er.
[4] Manfred Ullmann, Wörter­buch der klassischen arabischen Sprache II,3, Wies­baden: Harrasso­witz, 2000 weist ein weiteres Synonym für den Akteur – lawwāṭ (S. 1773) – und eines für die Aktion – malāṭ (S. 1774) – nach. Nach dem Erscheinen der Lieferung des WKAS sollten es besser heißen:
Der liwāṭ Aus­führende (fāʿil) heißt lūṭī, lāʾiṭ, mutalauwiṭ, oder lawwāṭ. Der, an dem liwāṭ ausgeübt wird (mafʿūl), heißt malūṭ (bihī). lūṭiya ist nicht das weib­liche Gegen­­stück zum lūṭī, son­dern bezeichnet die Hand­­lung, ist also synonym zu liwāṭ, liwāṭa und malāṭ.
[5] Da im heutigen Deutsch „Sodomie“ meist für ‚Zoo­philie, Bestia­lität‘ steht und „der Sodomierte“, „sodomieren“ usw. unge­bräuch­lich sind, sowie bei Vielen eine Abneigung gegen das klare und der deutschen Sprache gemäße „Arsch­ficken“ (das Deutsche liebt durch­sichtige Zusam­men­setzungen, wie Taschen­tuch, Schall­­platten­­spieler) besteht, habe ich mich mit dem Kunstwort „*luten“ beholfen; „*luten“ heißt also so viel wie ‚pedicare‘ (von podex) oder ‚pene­trare per penem in anum‘ . Auch „Analverkehr“ paßt nicht: zum Einen, weil es auch anolingus, pene­tratio per digitum und penetratio per artefactum einschließt, zum Andern, weil sich davon keine Wörter für ‚Täter‘ und ‚Opfer‘ bilden lassen.
[6] Badāʾiʿ aṣ-ṣanāʾiʿ, al-Qāhira: Maṭbaʿat al-Imām, o.J. [1972], S. 4151f.
[7] Mabsūṭ, al-Qāhira, 1324–31/ 1906–13, (Nach­druck: Bairūt: Dār al-Maʿrifa 1378/1978), IX S. 78.
[8] Hidāya, Calcutta, 1274/1818, S. 376; abgedruckt in Ibn al-Humām: Fath al-qadīr, al-Qāhira: al-Maṭbaʿa al-kubrā al-amīrīya, 1316/1896, IV S. 150.
[9] Minhāǧ aṭ-ṭalibīn, Hg. v. d. Berg, Batavia: Imprimerie du Gouverne­ment, 1884, III S. 211.
[10] Hidāya a.a.O.
[11] al-Ḥaṣkafī: ad-Durr zus. mit Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muhtār, Miṣr, 1272/1855, III S. 155 = al-Qāhira, 1307/1890, III S. 170 = Būlāq: Amīrīya, 1324/1906, III S. 160 = al-Qāhira, 1966, IV S. 27; Ibn ʿĀbidīn zitiert Ibn al-Humām: Fath al-qadīr mit den gleichen Worten „mit seinem Sklaven, seiner Sklavin oder seiner Ehe­frau“ – in Ibn al-Humām, a.a.O.
[12] Ibn ʿĀbidīn: Radd al-muhtār, zus. mit ad-Durr, ebenda.
[13] Ibn Qudāma: Kitāb al-ʿumda, al-Qāhira: Maṭbaʿat as-Salafīya, 31382/ 1962–63, S. 556; ebenda auch der Kommentar des Maqdisī.
[14] qāla fi llaḏī yaʾtī mraʾatahū fī dubrihā hiya l-lūṭīya aṣ-ṣuġrā (Musnad I S. 317).
[15] Ibn Ḥam­bal: Musnad, al-Qāhira: al-Maṭbaʿa al-Maimūnīya, 1313/1894–5, II S.182; Abū Dāūd: Musnad 2266, nach James A. Bellamy: Sex and Society in Islamic Popular Litera­ture in Society and the Sexes in Medieval Islam (Hg. A. L. Sayyid-Marsot), Malibu: Udena, 1976, S. 37.
[16] al-Qāhira: ʿĪsā al-Bābī al-Ḥalabī, 1927, S. 149; Übers. Earl Edgar Elder: A Com­men­tary on the Creed of Islam, New York: Columbia University Press, 1950, S. 160. Es sei ange­merkt, daß Taftāzānī es sehr viel schwerer macht, einen Muslim zum kāfir zu er­klären, als die meisten. Er ver­langt nicht nur, daß das Verbot stricktest bewiesen ist, son­dern auch, daß der Betreffende etwas für erlaubt erklärt, was er selbst getan hat bzw. tut.
[17] Vgl. S. 108.
[18] al-Qāhira, 1352/1933, III S. 88.
[19] Vgl. auch Abū Sahl zit. von Ibn al-Ǧauzī: Ḏamm al-hawā, Hg. Muṣṭafā ʿAbdal­wāhid, al-Qāhira: Dār al-Kutub al-Ḥadīṯa, 1381/1962,; zit. engl. in J. N. Bell: Love Theory in Later Han­balite Islam, Albany: State University of New York Press, 1979, S. 21.
[20] Hg./Übers. Moh. Zouher Djabri – auf Grundlage d. Hs. Gotha 2038 – Diss. Med. Erlangen, 1968, S. arab. 12, S. dt. 15; er über­setzt beide Verben gleich: Die Päd­erastie ist köstlich! Beschlaft die Knaben, oh Araber … Beschlaft einen Knaben …
[21] Hs. Berlin Ahl. 6382. fol. 46–135 (Schluß).
[22] Dīwān, Hg. Ewald Wagner, al-Qāhira: Maṭbaʿat al-Laǧna, 1378, zusammen mit: Wiesbaden: Fr. Steiner, 1958 (Bibliotheca Islamica 20a), S. 184.
[23] E. Wagner: Abū Nuwās, Wiesbaden: Steiner, 1965, S. 244.
[24] a.a.O. S. 178 – weitere Synonima: raǧulīya und – persischen Ursprungs – zanmarda.
[25] Bairūt: Dār Sādir & Dār Bairūt, 1382/1962, S. 627.
[26] Hg. Macnaughten, Calcutta: W. Thacker, II S. 462; Übers. Burton V S. 161.
[27] Leicht variiert kommt der Vers auch in Abū Nuwās’ berühmtestem Gedicht vor: min kaffi ḏāti hirin fī zīyi ḏī ḏakarin * lahā muhibbāni lūṭīyun wa-zannāʾū, Ewald Wagner: Abū Nuwās, S. 291f.; sowie Alf laila, Calcutta, IV S. 715 (lies statt ǧirin: Ḥirin!); ferner: Ibn Ḫallikān: Wafayāt, Hg. Ihsān ʿAbbās, Bairūt: Dār Sādir & Dār aṯ-Ṯaqāfa, 1968, I S. 223; de Slane übersetzt zwar ins Lateinische, dafür aber das ent­scheidende Wort korrekt: „A manu mulieris in vestimento hominis, cui duo amatores, paedico et scortator“, I S. 205.
[28] Enno Littman: Die Erzählungen aus Tausend und einer Nacht, Wiesbaden: Insel, 31954, III S. 588.
[29] Saraḫsī: Mabsūṭ, IX S. 78.
[30] Ibn al-Humām: Fath al-qadīr, IV S. 151.
[31] So erledigt sich E. K. Rowsons Problem in “Gender Irregularity as Entertain­ment: Institu­tionalized Trans­vestism at the Caliphal Court in Medieval Baghdad” in Gender and Difference in the Middle Ages (Hg. Sh. Farmer, C. B. Pasternack) Minnea­polis: University of Minnesota Press, 2003, S. 54; erst zitiert er ein Spott­gedicht auf al-Amīn: “The liwāṭ (active homo­­sexuality) of the caliph is a marvel, / And a greater marvel is the hulāq (passive homo­sexuality) of the vizier. … / If only they would make use of each other, / At least it could all be kept quiet: / But the former plunges into [a eunuch], / While the latter [needs a big one.]” Dann berichtet er, daß Ǧāhiz Eunuchen weder zu den Männern noch zu den Frauen zählt, meint aber: this “would appear to conflict with the above charcterization of al-Amīn’s attraction to eunuchs as Ôliwāṭ,Õ which would assimilate them as object choice to other males.” Ersetzt man Rowsons falsche Über­setzungen „aktive und passive Gleich­geschlecht­lich­keit“ durch „Anal­pene­tra­tion“ und „krankhafte Erreg­barkeit des Anus“ gibt es gar kein Problem.
[32] Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörterbuch, VI, Wiesbaden: Brockhaus, 1984, S. 442.
[33] Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, II, 1976, S. 611; so auch in Gerhard Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Gütersloh: Bertelsmann, 1989, S. 1002.
[34] Brockhaus-Wahrig, Deutsches Wörter­buch, II, Wiesbaden: Brockhaus, 1981, S. 362.
[35] Ob jemand verheiratet ist, ist für zinā uner­heb­lich. Ob jemand je einen durch Ehe oder Besitz legitimier­ten Akt voll­zogen hat – ob er muḥṣan ist, ist nur für das Straf­maß von Belang, nicht für die Definition.
[36] Der Koran, München: Beck, 1983, S. 311.
[37] Am Rande sei bemerkt, daß auch liwāṭ eine Entwick­lung durch­macht: in der arabi­schen medizini­schen und (populär-)psycholo­gischen Literatur des 20. Jahr­hunderts wird es – neben šuḏūḏ ǧinsī – für den euro­päischen Begriff „Homo­­sexualität“ gebraucht.
[38] Silvia Tellenbach: Straf­gesetze der Islami­schen Republik Iran, Berlin: de Gruyter, 1996 (Sammlung außer­deutscher Straf­gesetz­bücher in deutscher Übersetzung CVI), S. 12.
[39] Nach Annahme dieses Artikels erschien eine neue Lieferung des Wör­ter­buch der klassischen arabischen Sprache. Obwohl Ull­mann auf meine Arbeit in Schmitt/Sofer (Hg.), Sexu­ality and Eroticism Among Males in Moslem Society (New York: Haworth Press, 1992) ver­weist, bleibt er bei der Über­setzung „Knaben­liebe, Homo­­sexua­lität“. Das ist völlig unver­ständ­lich, da seine Belege die richtige Über­setzung aufs Schönste stützen: einmal die Stellen, in denen jemand Jüng­linge nur mit Blicken ver­schlingt, sich des *Lutens aber ent­hält – offen­sicht­lich ist er „knaben­liebend“. Es gibt auch keine Stelle, in denen jemand als lūṭī bezeichnet wird, weil er oral-genitalen Verkehr ausübt oder an sich ausüben läßt oder weil er mit jemanden Hand­verkehr ausübt. Gewiß, völlig isoliert be­trachtet, macht nicht jede Stelle klar, wie genau der Verkehr von Statten geht. Dies zu klären helfen nicht nur liwāṭ-mit-Frauen-Stellen, sondern auch die Paare, die Ullmann dankens­werter­weise zu­sammen­stellt: Ver­bindun­gen mit dem Beschla­fenen (halaqī, maʾbūn, muʾāǧir, baġġāʾ, S. 1769, 1772) und die mit ʿafǧ/ Duodenum (S. 1772). Die Ver­bindung mit sihāq paßt zu denen mit kufr und šurb al-ḫamr. Ein einziger Beleg schwächt meine kate­go­rische Behaup­tung: die Paarung mit niswānī (S. 1769), aber nur solange man nicht weiter­liest: in Ibn Falītas Rušd und in anderen Streit­gesprächen zwischen Knaben- und Frauen­freun­den geht es immer um Anus versus Vagina – man beachte den Titel eines dieser Werke: Vorzug des Bauches über den Rücken.
[39a] Khaled El-Rouayheb, Before Homosexuality in the Arab-Islamic World, 1500–1800. Chicago: University of Chicago Press 2005. p. 20.
[40] Wafayāt, Hg. Ihsān ʿAbbās, V S. 241; Übers. de Slane, III S. 395.
[41] Šihābaddīn Ahmad b. Yahyā Ibn Abī Haǧ ala al-Maġribī, Dīwān as-ṣabāba, al-Qāhira, 1328/ 1910, S. 201. Obwohl der reine Wortsinn fast genau „männliche Homo­sexualität“ bedeutet, vermutet ich, daß nur die „normale“ Neigung zu pene­trieren gemeint ist, daß der Begriff nicht Ober-, sondern Gegen­begriff zu ubna, der Neigung sich penetrieren zu lassen, ist. Für den Hinweis auf Ibn Abī Haǧala und die Diskussionen danke ich Nicholas Heer.

liwāṭ im fiqh 01 — gesellschaftlicher Hintergrund

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 9.Januar 2010 at 15:14

Als die arabisch-islamischen Heere in weniger als 100 Jahren die Winter­regen­zone  des Altwelt­trocken­gürtels eroberten, führte dies nicht zu einem Bruch mit der etablierten hellenistischen Kultur. Arabien war schon hellenisiert – nicht nur die Vasallen­reiche im Norden und der Jemen, auch die Handels­­metropole Mekka und die (teils jüdische) Oase Medina; andererseits waren Syrien und der Irak semito­phon.

In den ersten prägenden Jahr­hunderten lernte der Islam viel von den alten Kulturen des frucht­baren Halb­monds, teils in über­­nehmender Aus­ein­ander­set­zung mit den pro­phe­tischen Schwester­­religionen, in dispu­tieren­­der Ab­gren­zung, teils durch die Trans­­fu­si­onen der Kon­ver­titen, die größten­­teils den Islam nicht als das ganz Andere (deshalb demütig zu Erlernende) betrachtet haben mögen, sondern als die bessere, erneuerte Version ihres alten Glaubens – weshalb sie völlig un­be­fangen „Lücken“ im neuen Ideologie­­gebäude mit bewährtem Bau­material füllten.

Die islamische Herrschaft brachte keine neue Wirtschafts­ordnung. Der Ost-West-Handel wurde durch den Wegfall der byzantinisch-sassanidi­schen Grenze erleichtert. In Stadt und Land änderten sich die Produk­tions­­verhältnisse kaum; von Sklaven bearbeitete Plantagen und staat­lich betriebene (oder lizenzierte) Manu­fak­turen blieben die Aus­nahme. Die in verschiedenen Regionen stark unter­­schied­liche Land­wirtschaft (Fluß­oasen, semi-aride Ebenen, Berg­terras­sen) und die aus­differenzierte Hand­werks­pro­duk­tion der Städte bildeten die wirtschaft­­liche Grundlage. Rechtliche Änderungen am Land­besitz änderten wohl eher die Form der Abgaben (Steuern, Rente, Pacht) als deren Höhe.

Auch an den patriarchalen Geschlechter­verhältnissen änderte sich wenig. Im öffent­lichen Leben blieben die Männer weitgehend unter sich. Ehen kamen in der Regel durch Verträge unter Männern zustande, dabei waren die Frauen meist jünger, weniger ge­bil­det und aus höchstens gleich­rangiger Familie: dank ihrer realen Unter­legen­heit war die offizielle Rang­­ordnung selten in Gefahr. Die Ehe diente der biologi­schen und mate­riel­len Erhaltung der Mannes­familie, der Schaffung und Festigung von Bündnissen sowie der Trieb­abfuhr. Selten war sie das affektive und libidinöse Zentrum des Mannes; Mutter, Söhne, Pferde, Sklavinnen, Knaben und Freunde waren ihm oft wichtiger.

Oral-genitale Kontakte und Selbstbefriedigung waren verpönt.  Geschätzt waren vagina­ler und analer Koitus. Analog zur rang­niedrigeren Frau war der penetrierte Mann, Jüng­ling oder Knabe – realiter und symbo­liter – unterlegen.  Während Penetra­toren mit ihren Eroberungen und Ver­­gewal­tigungen angeben konnten, war „es“ für Verführte und Vergewaltigte schändlich.

So wie in Nordeuropa die Kirchen alle außer­­ehelichen Geschlechts­­akte gleich stark verurteilen, gesell­schaft­­lich jedoch außer­­ehelicher Sex bei Frauen stärker geahndet wurde, so unter­scheiden die Menschen des Mittel­­meer­­raumes zwischen „erfolg­reichem“ Pene­trator und „schänd­lichem“ Pene­trierten, obwohl die abrahami­­ti­schen Religionen jede geschlecht­liche Handlung außer­halb von Ehe und Kon­­kubinat verbieten: gleich ob allein, mit Tieren, Kadavern oder Geistern, ob mit Personen des eigenen oder des anderen Geschlechts, gleich ob „aktiv“ oder „passiv“.

Im Zentrum dieser Studie steht der Begriff liwāṭ, der bisher durch­gehend mit „Homo­sexualität, Päderastie, Knabenliebe“ wieder­gegeben wird, und dem von Orienta­listen kaum Beachtung geschenkt wurde. Da auch die meisten Rechts­­hand­bücher seine Bedeu­tung als bekannt vor­aus­setzen und die Definitionen der Wörterbücher wenig hilf­reich sind, muß erst der Begriff geklärt werden. Anschließend gebe ich einen Überblick über die relevanten Stellen in Qurʾān und Sunna, sowie Meinungen von Juristen der ver­schie­denen Schulen, wobei ich meist Werke aus den drei Perioden auswerte, in die seit Joseph Schacht und Ch. Chehata شفيق شحاتة einzu­teilen üblich ist: die „präklassi­sche“ der For­mie­rung, die „klassische“ der Syste­matisie­rung, die „post­klassische“ der Kommen­tierung.

Ich untersuche also nicht eine Periode oder einen maḏhab exemplarisch – ein Ver­fahren, das Verfasser und Leser verleitet, die Ergebnisse zu genera­­lisieren –, sondern unter­­nehme eine Sichtung des Terrains. Nebenbei ergibt sich eine Auf­arbeitung des von Orienta­listen zum Thema Geschriebenen.

liwāṭ — English summary

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 8.Januar 2010 at 12:17

Despite widespread acceptance by (male) society, Islamic juris­prud­ence condemns anal inter­course—and this is the meaning of liwāṭ, not “homo­sexuality,” or “(male) homo­­sexual behaviour”. The Arab con­quest had changed neither the modes of pro­duction nor the patriarchal order or sexual mores of Egypt, Syria, Iraq and Iran. In Hellenistic societies the main gender division runs not bet­ween male and female, and hetero- and homo­­sexual, but rather between pene­trator and penetrat­able (women, boys, slaves, Jews, eunuchs and dancers alike). To penetrate was normal male desire, but to suffer or to allow penetration was shameful, and to enjoy it worse. Islamic law, on the other hand, pre­scribes the death penalty for extra­marital inter­course – with male or female and whether as pene­trator or pene­trated. Consider­ing the sources of Islamic law, this paper reasons that neither the Holy Book nor the most authentic and earliest apost­olic sayings impose a death sentence for sod­omy in this life. But Ismāʿīlīs, Zaidīs, most Ǧaʿfarīs and Šāfiʿīs and many Ḥan­balites punish liwāṭ with the penalty for zinā; the Mālikīs and some Ḥan­balīs and Šāfiʿīs decree the death penalty even for the ġair muḥṣan. Leaving the ġulāt aside, who, if one is to believe Imāmī heresio­graphies, did allow liwāṭ, some viewing it as a way to trans­mit holi­ness, only the rather marginal Ẓāhirīya and most Ḥana­fites argue that there is no ḥadd – they impose only taʿzīr. Although in the classical period some Ḥanafīs believed it to be allowed in para­dise, later the Ḥana­fīya narrowed the gap with the other maḏāhib, either by imposing ḥadd az-zinā, or by removing all con­straints from taʿzīr. As to sod­om­izing one’s slaves, only the Ḥanbalīs were un­ambi­guous in their con­dem­nation. The solution to the tension between societal attitude and the šarīʿa is found in strict require­ments of evidence: together with general rules of moral conduct, the pro­cedural law makes the execution of the death penalty almost impossible – as long as the sinful and shameful acts take place in private and are denied by the per­petrators.