Arno

liwāṭ im fiqh 05 – Andere

In Geschichte, Homosexualität, Islam, Männer, Muslime, Recht, Soziologie on 13.Januar 2010 at 09:52

5. IMĀMĪYA = ǦAʿFARĪYA = ZWÖLFER-ŠĪʿA

Für die Imāmīya habe ich fünf Autoren her­an­gezo­gen: einen aus dem elften Jahr­hun­dert, einen aus dem drei­zehnten, dazu einen Kom­men­tar aus dem sech­zehnten Jahr­hundert, sowie zwei Texte aus dem zwanzig­sten Jahr­hundert. All­gemein kann gesagt werden, daß sie den Tat­komplex liwāṭ stärker dif­feren­zieren als die sunnitischen Juristen.

Präklassisch

Der große Jurist Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. al-Ḥusain aṭ-Ṭūsī (gest. vor 460/1067) lebte zwar in einer Zeit, in der klassische fiqh-Werke verfaßt wur­den, sein Kitāb al-istibṣār ist jedoch so wenig systematisch, daß es nicht als klas­sisch ge­wertet werden kann. Im bāb al-ḥadd fi l-liwāṭ führt er einen Aus­spruch ʿAlīs (Wenn es jemand ver­dien­te, zwei­mal gesteinigt zu werden, so wäre es der lūṭī.) und 12 casus auf:[134]

Schwert und Verbrennen der Leiche für alle
Schwert ohne Spezifikationen
Schwert für muḥṣan – 100 Hiebe für ġair muḥṣan
Steinigung für muḥṣan – 100 Hiebe für ġair muḥṣan
Schwert bei Pene­tration (Durchlöchern/ṯaqb) – 100 Hiebe ohne Durchlöchern
Schwert/Herabstürzen/Verbrennen für Eindringen (īqāb)
Schwert/H.st./Verbr./Steinigung für Eindringen so muḥṣan
ḥadd wie für zānī ohne Spezifikationen
ḥadd wie für zānī f. d. Ein­drin­ger – Schwert für den, in den einge­drungen wird
Steinigung für muḥṣan, der eindringt – Hiebe für ġair muḥṣan, der eindringt
Hiebe für muḥṣan, ohne Pene­tration
Schwert für muḥṣan, der eindringt – Tadel für den (pene­trier­ten) ġulām (Sklaven/Minderjährigen?)
Schwert bei tafḫīḏ – 100 Hiebe für zwei unter einer Decke – Schwert bei Wieder­holung, so muḥṣan

Selbst die Begriffe bleiben unein­deu­tig: einmal definiert er lūṭī als ‚Eindringer‘, während ein ander’ Mal tafḫīḏ unter liwāṭ fällt.

Von Naǧmaddīn Ǧaʿfar b. al-Ḥasan b. Yaḥyā al-Ḥillī al-Muḥaqqiq al-Auwal (gest. 676/1277) habe ich zwei fiqh-Werke ein­ge­sehen, deren liwāṭ-Kapitel einander wie zwei Eier gleichen: den Muḫtaṣar an-Nāfi [135] und Šarāʾiʿ al-islām fī masāʾil al-ḥalāl wa-l-ḥarām.[136] Letzteres weist zusätzlich eine Definition auf, erwähnt einmal eine ab­wei­chende Mei­nung, ist aber weit­schweifi­ger und hat eine andere Reihen­folge der Punkte. Da der Muḫtaṣar knapp und klar ist, hier eine Über­setzung:

  1. liwāṭ gilt als erwiesen bei viermaligem Geständnis; bei ein-, zwei- oder drei­mali­gem wird mit taʿzīr gezüchtigt.
  2. Bedingung für ein (gültiges) Geständnis sind: Zurech­nungs­fähigkeit, Frei­willig­keit und Freiheit – beim Passiven wie beim Aktiven.
  3. liwāṭ gilt durch vier Zeugen als erwiesen: sind es weniger, so werden sie mit ḥadd [für Verleum­dung A.S.] belegt.
  4. Der Eindringende wird getötet, auch wenn er einen Minder­jähri­gen oder Un­mün­di­gen*lutet; der Min­derjährige wird gezüchtigt. Sind beide voll­jährig,[137] so werden sie getötet, auch wenn der Herr (w.: er) seinen Sklaven *lutet.
  5. Wenn der Sklave behauptet, gezwungen worden zu sein, entfällt die ḥadd-Strafe für ihn.
  6. Wenn ein ḏimmī einen Muslim *lutet, wird er getötet, auch wenn er nicht ein­ge­drungen ist.
  7. Wenn er einen seinesgleichen *lutet, steht es dem Imām frei: die Auf­er­le­gung (der Strafe) oder die Über­gabe an die Leute seiner Gemein­schaft, damit diese ihn mit dem ḥadd bestrafen.
  8. Das Eindringen macht die Tötung des Aktiven und des Passiven obliga­torisch, wenn er voll­jährig und bei Verstand ist, und dies gilt für alle Ein­dringenden.
  9. Der Verrückte wird nicht mit der ḥadd-Strafe be­legt, auch wenn er der Aktive ist – nach der richtigen Meinung.
  10. Der Imām hat die Freiheit, den Ein­dringer zu köpfen (qatl), zu steini­gen, von einer Mauer zu stürzen oder zu verbrennen.
  11. Er hat die Freiheit, die Verbren­nung mit einer anderen (Tötungsart) zu ver­binden.
  12. Wer nicht eindringt, dessen ḥadd-Strafe beträgt 100 (Hiebe) – nach der rich­tigen Meinung; der Freie und der Sklave werden dabei gleich behandelt.
  13. Wenn er es trotz der ḥadd-Bestrafung von 100 (Hieben) wiederholt, so wird er beim vierten Mal mit dem Tode bestraft – wegen der (großen) Ähnlichkeit (mit der ḥadd-Tat). [138]
  14. Zwei (Männliche), die nackt unter einer Decke zusammen sind und nicht bluts­verwandt, werden nach taʿzīr gezüchtigt: von 30 bis 99 Hieben.
  15. Wenn er es trotz der Wiederholung der taʿzīr-Züchtigung wiederholt, so gilt beim dritten Male die ḥadd-Strafe.
  16. Ebenso wird mit taʿzīr gezüchtigt, wer einen ġulām mit Leiden­schaft küßt. …

20. Die ḥadd-Strafe (für Tri­badie) wie für liwāṭ ent­fällt bei Reue vor der Beweis­erbringung, nicht aber danach. …

25. Die Kuppelei – also das Zusammen­führen von Männern und Frauen zum Zwecke von zinā oder von Män­nern und ṣibyān zum Zwecke von liwāṭ

Postklassische Juristen

Von den vielen Kommentaren zu Ḥillī sei nur der von Zainaddīn Aḥmad b. ʿAlī al-ʿĀmilī (gest. 866/1558) zu den Šarāʾiʿ al-islām [139] erwähnt; sein Anfang ist für die Definition von liwāṭ von Interesse:

Ḥillī: Was den liwāṭ angeht, so ist er das Koitieren von Männlichen [140] durch Ein­dringen (īqāb) oder auch anderes … – ʿĀmilī: Mit ‚Ein­dringen‘ meint er ‚Einführen‘ (idḫāl). Auch wenn die beiden (īqāb und id­ḫāl) hin­sicht­lich der rituel­len Waschung nicht gleich sind,[141] sind sie es hin­sicht­lich der recht­lichen Be­urteilung (ḥukm). Es wird als Ein­drin­gen ge­rech­net, wenn die Eichel [ganz A.S.] eindringt. Voll­ständiges Ein­dringen [des Penis A.S.] ist nicht [not­wendi­ges A.S.] Zeichen für liwāṭ. Anderes als Ein­drin­gen – wie Verkehr zwischen den Schenkeln und zwischen den Po­backen – wird als liwāṭ be­zeich­­net, auch wenn sich dessen recht­liche Be­urteilung [von dem ḥukm von liwāṭ im engeren Sinne] unter­schei­det. Die Anwen­dung [des Aus­druckes] ‚lūṭī‘ auf diesen Bereich … ist be­rech­tigt, auch wenn [der Aus­druck] ‚liwāṭ‘ [in erster Linie] auf Ein­dringen ange­wandt wird und ande­res als dies mit einem ande­ren Termi­nus be­legt wird [etwa mit tafḫīḏ]. Wenn ein besonderer ḥadd-[Straf­tat­bestand] dafür nötig wäre, hätte man dafür einen eigenen Aus­druck (iṭlāq ʿalā ḏālika) [nämlich einen termi­nus für alle ver­bote­nen Formen von waṭʾ ohne īqāb (tafḫīḏ bezieht sich ja genau ge­nommen nur auf den Ver­kehr zwischen den Schen­keln) A.S.] und die Berichte wandten diese Be­zeich­nung (liwāṭ) dar­auf an.[142]

Hier wird klar zwischen zwei Hand­lun­gen unter­schie­den, die unter­schied­lich bestraft werden sollen, aber beide als liwāṭ be­zeich­net werden können.[143]

Ansonsten besteht der „Kom­mentar“ des ʿĀmilī zum größten Teil aus Aus­­sprüchen der Imāme (manch­mal einer Kritik der Über­lieferer) und der Ansichten (relativ später) šīʿi­ti­­scher Juri­sten. Bemer­kens­wert ist eine Stelle zu den Tötungs­arten, weil hier „Akti­ver“ und „Pas­siver“ unter­schied­lich be­han­delt werden. Während der ātī getötet werden soll, so er muḥṣan ist, und sonst aus­ge­peitscht, soll der maʾtī in jedem Fall getötet werden (Ǧaʿfar aṣ-Sādiq laut Ḥamdān ʿUṯmān) .[144] 

Übrigens ist die Definition von muḥṣan bei den Imamiten praxisnäher als bei den Sun­ni­ten, während letztere nur einen legalen Geschlechtsverkehr verlangen, wie lange er auch zurückliegen mag, damit die härteren Strafen fällig werden, verlangen erstere, dass der Sün­der gesündigt hat, obwohl er in der Woche der Tat die Gelegenheit zu legalem Ge­schlechts­verkehr hatte, dass er also zum Zeitpunkt der Tat eine Ehefrau oder Sklavin hat, die in seiner Nähe lebt und die nicht durch Krankheit am Geschlechtsverkehr gehindert ist.

20. Jahrhundert

Muḥammad Ǧawād Muġnīya (1904–1979) bringt eine recht konzise Fas­sung des ǧaʿfa­riti­schen Stand­punktes, die sich nur durch das Weg­lassen der Bestim­mungen über Skla­ven, über­ tafḫīḏ und über­ Küssen von den alten Texten unter­scheidet.[145] Am Anfang und am Schluß betont er die Schwere der Sünde („verbotener denn zinā“, schlim­mere Folgen für die Gemein­schaft als die übrigen Ver­brechen“).

Das Strafgesetzbuch der Islami­schen Repu­blik Iran ist von beson­derem Inter­esse, läßt sich doch an ihm über­prüfen, in­wie­weit die Gesetz­gebung der Islami­schen Republik Iran den klas­si­schen Juristen folgt bzw. Neues als islamisch dekla­riert. Es gibt drei Texte, die ich zusammen dar­stelle, da die Unter­schiede zwischen ihnen gering sind. Am 6.1.1981, also zwei Jahre nach der Revolution, ver­öffent­lichte Inqilāb-i Islāmī einen in erster Lesung vom Parla­ment ge­billig­ten Ent­wurf zu einem Straf­gesetz­buch; die ‚Iran AG West­berlin‘ veröffentlichte davon eine deutsche Über­setzung.[146]
Am 3.6.1361/25.8.1982 verab­schiedete das Parla­ment ein Gesetz über­ ḥudūd, am 20.7.1361/12.10.1982 ein Gesetz über­ qiṣāṣ; Masoud­uz­­zafar Samimi Kia veröffentlichte im nächsten Jahr in Tehrān eine eng­lische Übersetzung von beiden.[147]

Das Gesetz sollte fünf Jahre gültig sein, wurde aber erst am 8.5.1370/ 30.7.1991 durch ein neues Strafgesetzbuch abgelöst, welches Silvia Tellen­bach 1995 „übersetzte“. Obwohl Tellen­bach in der Einleitung die Über­setzung von zinā mit „Unzucht“ und „Ehebruch“ als „ungenau[148] geißelt, gibt sie liwāṭ mit „Homo­sexualität“ wieder und musaḥaqa mit „lesbische Liebe“. Sie nennt die arabischen Termini nicht. Offensichtlich be­trach­tet sie „Homo­sexualität“ und „lesbische Liebe“ als unpro­blema­tisch.[149] Sie hält „Homo­sexu­ali­tät“ für „sexuelle Handlungen unter Männlichen“ und sie traut dem islami­schen Recht zu, „Liebe“ unter Strafe zu stellen.

ḥadd für liwāṭ

138/139/108 liwāṭ ist das Koitieren (waṭʾ) eines Männ­lichen (insān muḏakkar ) [150][durch Ein­dringen mit dem Glied oder Schenkel­verkehr (tafḫīḏ)].[151]

139/140/109
Wenn jemand einen Männlichen ko­itiert, sollen beide, der Aktive und der Passive, zur ḥadd-Strafe ver­urteilt werden. [ … ]
140/141/110
Die ḥadd-Strafe für liwāṭ [in der Form des Ein­dringens] ist die Tötung;
—/141/110
der šarīʿa-Richter entscheidet über­ die Tötungsart.[152]
141/142/111
Auf liwāṭ steht die Tötung, wenn Aktiver und Passiver volljährig und geistig gesund sind und freiwillig (handelten).
141/—/—
Deshalb zieht liwāṭ einer minder­jährigen, schwach­sinni­gen oder dazu ge­zwunge­nen Per­son nicht die Tötung nach sich.[153]

142/143/112
Wenn ein volljähriger und geistig gesunder Mann einen Min­derjähri­gen koitiert, soll der Aktive getötet werden, und der Passive soll nach dem Ermessen des Richters gezüch­tigt wer­den [mit bis zu 74 Peit­schen­hie­ben], so er nicht dazu gezwungen wurde.[154]

143/144/113
Wenn ein Minderjähriger einen andern Minder­jähri­gen koitiert, sollen sie nach dem Er­messen des Richters ge­züchtigt werden, es sei denn, einer von beiden wurde dazu gezwungen.
143/144/—
Anmerkung: Samenerguß während des Aktes erweist die Voll­jährigkeit des Aktiven.[155]

Art und Weise des Beweises von liwāṭ

A. Geständnis

144/145/114
Wenn der Aktive oder Passive viermal [vor dem Richter] gesteht, so ist liwāṭ für den Geständigen erwiesen.[156]

145/146/116
Das Geständnis ist gültig, wenn der Ge­stän­dige voll­jährig und geistig gesund ist und freien Willen und Vorsatz hat.
146/147/115
Wenn der Aktive oder der Passive weniger als viermal gesteht, so gilt liwāṭ nicht als bewiesen, aber der Richter soll nach seinem Ermessen züchtigen.
148/149/118
Wenn weniger als vier rechtschaffene Männer das bezeugen, so ist liwāṭ nicht be­wiesen, und die Zeugen sollen zum ḥadd für Verleum­dung ver­urteilt werden.
149/150/119
Das Zeugnis von Frauen beweist liwāṭ nicht – weder allein, noch zusammen mit Männern.
150/151/120
Der Richter kann ein Urteil auf Grundlage seines Wissens, das er auf all­gemein üblichem Wege[157] (az ṭarīq-i mutaʿārif) erlangt hat, fällen.[158]

Schenkelverkehr (tafḫīḏ)

151/152/121
Die Strafe für tafḫīḏ und Ähnliches began­gen von zwei Männlichen ohne Eindringen, ist 100 Hiebe für den Aktiven und den Pas­siven. Anmerkung: Wenn der Aktive kein Muslim ist und der Passive es ist, wird der Aktive getötet.[159]        
152/153/122
Wenn tafḫīḏ oder Ähnliches dreimal wieder­holt wird und die ḥadd-Strafe jedes­mal ver­hängt worden ist, sollen beide beim vierten Mal getötet werden.
153/154/123
Wenn zwei nicht blutsverwandte Männer ohne Not (d.h. ohne guten Grund) nackt unter einer Decke liegen, sollen sie [mit bis zu 99 Peit­schen­hieben] (nach dem Ermessen des Richters) gezüchtigt werden.
154/155/124
Wenn jemand eine andere Per­son lüstern küßt, soll er [mit bis zu 60 Peit­schen­hieben] (nach dem Ermessen des Richters) bestraft werden.[160]

155/156/126
Falls der Begeher von tafḫīḏ oder Ähnlichem oder der lūṭī seine Hand­lung – ob mit oder ohne Eindringen – bereut, bevor die Zeugen Zeugnis abgelegt haben, soll die ḥadd-Strafe fallen­gelassen werden, und falls er bereut, nachdem Zeugnis abgelegt wurde, soll die ḥadd-Strafe
nicht fallengelassen werden.

156/156[161]/125 Falls die Hand­lungen durch Geständnis bewiesen werden, kann der Richter vergeben [bei walī al-amr den Antrag auf Begna­digung stellen]. … … …

166/136
Kuppelei wird durch zweimaliges Geständnis bewiesen, sofern der Geständige voll­jährig, geistig gesund und freien Willens ist.

167/137
Kuppelei wird durch das Zeugnis zweier un­beschol­tener Männer bewiesen.

168/138
Die Strafe für Kuppelei ist siebzig [75] Peit­schen­hiebe und Verbannung vom Wohnort für einen vom Richter fest­zu­setzen­den Zeit­raum. Beachte: Die Strafe für Kuppelei (be­gan­gen) von einer Frau ist fünfund­siebzig Peit­schen­hiebe.

169/139
Verleumdung (qaḏf) ist jemandem zinā oder liwāṭ nachzusagen.

170/140
Die ḥadd-Strafe für qaḏf ist achtzig Peitschen­hiebe gleich ob ein Mann oder eine Frau verleumdet. [Erläuterung 1: Die Verhän­gung der ḥadd-Strafe für Ver­leum­dung hängt vom Antrag des Ver­leum­deten ab.] Beachte: Wer eine Per­son nicht wegen zinā oder liwāṭ ver­leum­det, sondern anderer Ver­gehen wie etwa Tri­ba­die, wird mit dreißig bis fünfzig [bis zu 74] Peitschen­hieben bestraft. … … …

174/143
Wer jemanden nachsagt, er habe zinā mit einer Frau oder liwāṭ mit einem Mann begangen, so ist das Ver­leumdung des Beschuldigten; er wird mit ḥadd bestraft. … … …

195/160
Wer jemanden mehr­mals wegen ver­schiedener Dinge wie zinā oder liwāṭ verleumdet, wird mit mehreren ḥadd-Strafen bestraft.

Das Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran folgt also dem klassi­schen fiqh in allen Einzel­heiten: selbst die Dis­kriminie­rung von Frauen und ḏimmīs bleibt – nur der Sklave wird nicht mehr erwähnt.

KLEINE MAḎĀHIB

1. ẒĀHIRĪYA

Charles Pellat schreibt im EI-Artikel liwāṭ, die meisten Nicht-Ḥam­ba­liten sähen für den ġair muḥṣan die Aus­peit­schung vor, und fährt fort: „man muß noch hinzufügen, daß manch­mal em­pfohlen wird, die vorge­sehene Strafe (100 Hiebe) nicht ganz anzu­wenden, und Ibn Ḥazm geht so weit, die Zahl auf 10 zu ver­ringern.[162]
Diese Bemerkung verkennt den Charakter des ḥadd und der Ẓāhir­īya (das sind ja die an den Wort­sinn Gebun­denen): eine ḥadd-Strafe zeichnet sich ja gerade durch ihre Fest­gelegt­­heit aus. Da sie auf den Rechts­ansprüchen Gottes beruht, kann an ihr nichts „verringert“ werden; es handelt sich hier nicht um taḫfīf. Ibn Ḥazm sieht statt ḥadd az-zinā taʿzīr von 10 Hieben vor. Schon im berühmten Ṭauq al-ḥamāma, spricht sich Ibn Ḥazm – à propos Straf­maß –gegen tazyīd fi l-iǧtihād aus und bringt einen ḥadīṯ nach Buḫārī, nach Yaḥyā b. Sulaimān, nach Wahb, nach ʿAmr, nach Bukair, nach Sulai­mān b. Yasār, nach ʿAbdar­raḥ­mān b. Ǧābir, nach seinem Vater, nach Abū Burda: „Ich hörte den Gesandten Gottes sagen: es werden nicht mehr als 10 Hiebe ausgeteilt außer bei den ḥudūd Allāh.“ (lā yuǧallad fauqa 10 aswāṭ illā fī ḥadd min ḥudūd Allāh).[163] Dieser ḥadīṯ (mit den gleichen ersten Gliedern des isnād) findet sich außer bei Buḫārī (ḥudūd bāb 43) auch bei Muslim (ḥudūd tr. 39[164]), bei Ibn Māǧa (ḥudūd bāb 32), Tirmiḏī (taʿzīr bāb 30) und bei Ibn Ḥam­bal (al-Qāhira, III 466, IV 45).[165]

Wie die Ḥam­baliten[166] scheinen die andalusischen Ẓāhiriten 10 als Höchstzahl an Hieben für alles angesehen zu haben, wo Qurʾān und Sunna nicht ausdrücklich eine höhere Zahl fest­legen. Was Pellat erwähnt, eine spezielle Beschränkung auf 10 bei liwāṭ, bedürfte bei Ẓāhiriten eines speziellen Textes und ein solcher ist mir nicht bekannt.

Ibn Ḥazms Muḥallā

Anders als die frühen Schulen (Ḥanafi­ten, Mālikiten) mußten die späten maḏā­hib von Anfang an ihre Methoden be­nennen und Bestim­mungen be­gründen. Dies gilt ganz besonders für die Gründungen des neunten Jahrhunderts, Abu Ǧaʿfar Muḥammad b. Ǧarīr aṭ-Ṭabarīs (gest. 310/923) Ǧarīrīya und Dāʾūd b. ʿAlī al-Iṣfahānīs (gest. 270/884) Ẓāhirīya. Leider hat sich kein fiqh-Werk von aṭ-Ṭabarī erhalten – doch kann manspan seinem musnad Tahḏīb al-āṯār entnehmen, daß er das uqtulū-ḥadīṯ von Ibn ʿAbbās trotz der ihm bekannten Ein­wände als gesund ak­zeptier­te.[167] Für die Ẓāhirīya jedoch liefert Ibn Ḥazm ein schönes Bei­spiel für rationale Aus­einander­setzung mit dem Problem. In seinem Muḥallā heißt es:

Das Tun der Leute von Lot zählt zu den großen Sünden, dem Abscheu­lichen und Verbo­tenen, wie [das Essen von] Schweine­fleisch, Aas und Blut, sowie [das Trinken von] Wein, wie Unzucht und die übrigen Sünden. Wer etwas davon erlaubt, ist Ungläubiger und Poly­theist; jeder darf ihn töten und sich seines Besitzes bemächtigen.

Indessen sind die Menschen über­ die Strafe dafür uneins. Eine Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden im Feuer ver­brannt. Eine andere Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden auf den höch­sten Berg der Sied­lung gebracht und von ihm her­ab­gestürzt, und Steine werden auf sie herab­geworfen. [Wieder] andere sagen: Der Obere und der Untere werden gesteinigt, gleich ob sie muḥṣan sind oder nicht.
Eine [vierte] Gruppe sagt: Sie werden beide [mit dem Schwert] getötet. Eine [fünfte] Gruppe sagt: Der Untere wird gesteinigt, ob er muḥṣan ist oder nicht, und der Obere wird ge­steinigt, wenn er muḥṣan ist – falls nicht, wird er mit 100 Hie­ben gepeitscht (ǧald az-zinā). Eine [sechste] Gruppe sagt: Der Obere und der Untere werden ge­steinigt, wenn sie muḥṣan sind, und wenn sie es nicht sind, mit 100 Hieben gepeitscht wie bei zinā.
Eine [siebte] Gruppe sagt: Für sie gibt es keine ḥadd-Strafe und keine Hinrichtung (qatl), sondern sie werden mit taʿzīr gezüchtigt. ...[168]

Dann nimmt Ibn Ḥazm die Über­lieferungen einzeln auseinander, alle etwa so:


All dies haben sie gefälscht. Nichts davon ist richtig. … ist schwach … ist schwach … Auf­grund solcher Über­lieferungen ist es nicht erlaubt, das Blut eines Juden oder Christen zu vergießen – stehe er unter dem Schutz des Islam oder nicht. Und wie sollte es dann erlaubt sein, das Blut eines sündigen oder reuigen Muslims zu vergießen?

Wenden wir uns der Ansicht derjenigen zu, die da sagen: Sie werden beide gesteinigt, seien sie muḥṣan oder nicht. Sie begrün­den dies damit, daß Gott so mit Lots Leuten ver­fahren sei. Gott sagt: „Und wir ließen Steine von über­ein­ander­geschichtetem Ton auf sie regnen, bei deinem Herrn gezeichnet“ [XI 82f], sowie mit oben erwähnten Aus­sprüchen, etwa dem nach [… sieben Über­lieferer] nach dem Propheten, der sagte:
Wer das Tun der Leute Lots tut, steinigt den Oberen und den Unteren! Und er [Abū Hurairah] sagte dazu: muḥṣan oder nicht. Und durch all dieses haben sie Uneinig­keit ge­schaffen, wie wir berichtet haben; all dies ist kein Argument, wie wir nun zeigen werden – so es Gott gefällt. Was Gott mit Lots Leuten getan hat, so ver­hält es sich nicht so, wie sie sagen, denn Gott hat gesagt: „Die Leute Lots haben die War­nun­gen zu Lügen erklärt. Wir schickten einen Sand­sturm über­ sie [mit Ausnahme der Familie Lots. Die erret­teten wir zur Zeit der Mor­gen­dämmerung, indem wir Gnade walten ließen. So vergelten wir dem, der dankbar ist. Er hatte sie doch davor gewarnt, daß wir zupacken würden. Aber sie begegneten den Warnungen mit Zweifeln. Sie hatten ja das Ansinnen an ihn gestellt, er solle ihnen seine Gäste ausliefern. Aber wir nahmen ihnen das Augenlicht.] Sie sollten meine Strafe und meine Warnungen zu spüren bekommen.“ LIV 33–37] Und Gott sagte: „Wir werden dich und deine Familie retten, mit Aus­nahme deiner Frau. Sie gehört zu denen, die zurück­bleiben.“ [XXIX 33] und: „Sie (f.) wird treffen, was sie (pl.) getroffen hat.“ [XI81]

2. ZAIDITEN

In dem Zaid b. ʿAlī b. Ḥusain (gest. 122/740) selbst zugeschriebenen Maǧmūʿ al-fiqh[169] habe ich drei mehr oder weniger relevante Stellen entdeckt. Die unjuristische habe ich schon zitiert (vgl. S. 63); hier die beiden anderen:

Zaid berichtete mir nach seinem Vater nach seinem Großvater nach ʿAlī; er sagte, daß der Prophet gesagt habe: ‚Ich ver­fluche dreierlei, denn Gott der Erhabene hat sie ver­flucht: den mit seinen Untertanen handel­treiben­den Imām, den, der das Vieh koitiert, und die zwei Männlichen, von denen einer den anderen koitiert. [170]

Kapitel von der Strafe des lūṭī

Zaid berichtete mir nach seinem Vater nach seinem Großvater nach ʿAlī über­ zwei Männ­liche, von denen einer seinen Gefährten koitiert, daß die ḥadd-Strafe für sie beide die ḥadd-Strafe für den zānī ist; wenn sie beide muḥṣan sind, werden sie gesteinigt, wenn sie es beide nicht sind, werden sie ausgepeitscht.[171]

Klassische Juristen

Der nach 836/1432 gestorbene jemenitische Imām al-Mahdī Aḥmad b. Yaḥyā al-Murtaḍā setzt im Ġaiṯ al-midrār al-mufatti[172]
Beschlafen eines Mannes der in vaginam vel anum einer Frau gleich. Den einschlägigen Absatz seines Kitāb al-baḥr az-zaḫḫār eröffnet er mit einer Definition: al-liwāṭ ityān aḏ-ḏakar fi d-dubr (Sodomie ist das Eindringen des Penis in anum).[173] Es sei eine große Sünde (kabīra), seine Bestrafung sei mit Schande ver­bunden; er erwähnt den Ver­flucht-ḥadīṯ sowie einen, der in keiner der durch­suchten zwanzig sunniti­schen Samm­lungen ver­zeichnet ist: Wenn ein Mann einen Mann pene­triert, sind sie beide Hurer (zāniyān).
Zur Strafe schreibt er: Sein ḥadd ist der ḥadd für zinā in Analogie (qiyāsan). Der zu­rech­nungs­fähige, freiwillig handeln­de, selbst wenn er noch keinen legalen Geschlechts­verkehr gehabt hat (wa-lau bikran), wird hinge­richtet. über­ die Tötungsart besteht Un­einigkeit. Wer seine Frau oder Sklavin nicht-vaginal beschläft, wird nicht bestraft.

3. ISMAʿĪLITEN

Der Jurist der Ismāʿīliten, der qāḍī Abū Ḥanīfa an-Nuʿmān b. Muḥammad b. Man­ṣūr (gest. 363/974), schreibt in seinem Kitāb al-iqtiṣār: „Und das Tun des Volkes von Lūṭ wird wie zinā be­han­delt: der Aktive und der Pas­sive werden ge­steinigt, so ein­ge­drungen wurde.[174]

HÄRETIKER

Aus drei Gründen werden die islamischen Häretiker meist über­gangen: weil Geschichte von Siegern auf­ge­zeichnet wird, weil diese fest­legen, was Islām ist, und, weil man oft in Ungedanken Heutiges in die Ver­gangenheit ‚verlängert‘ so wird etwa aus der Šīʿa etwas genuin Per­sisches und aus Per­sien der Hort der Šīʿa. Obwohl ich ihnen Unrecht tue, wenn ich sie ‚Häretiker‘ nenne und die Quellen der ‚Sie­ger‘ benutze, will ich sie doch nicht ganz über­gehen: die vielen šīʿiti­schen ‚über­treiber‘, zumal vermutet werden darf, daß der Šīʿa vom 9. bis 13. Jahr­hundert die Mehr­heit der islamischen Bevölke­­rung Syriens und des Iraks anhingen (und wohl auch der islāmisierten Türken).

1. AUSGESTORBENE GRUPPEN

Mez schreibt in der Renaissance des Islams über­ eine von Abū Ǧaʿfar Muḥammad b. ʿAlī Ibn aš-Šalmaġānī (hinge­richtet 322/934) ge­gründete Sekte: „Auch die Knaben­liebe habe man für notwendig erachtet, damit so der Höher­stehende den Niedrigeren mit seinem Lichte durch­dringen könne.[175]

Auch Louis Massignon erwähnt Šalmaġānī im Zusam­men­hang dieses šujet scabreux“;[176] er gehört wohl zu ǧewissen Initiations­zirkeln von Extrem­šīʿiten, [in denen die] Vor­stellung der Ver­än­derung der Gestalt [bei der Auf­erste­hung so inter­pre­tiert wurde, daß] die auf­erstan­denen Erwähl­ten ihr Geschlecht frei wählen könn­ten. Diese Doktrin zeichnet sich bei den Nuṣ airī ab, deren Initia­tion nikāḥ heißt und für die alle Auf­erstan­de­nen männ­lich sein werden (Fāṭima wird ‚Fāṭir‘ ): dies stattet die Gläubigen (beider Geschlech­ter) der Sekte mit einem aktiven Herm­aphro­dis­mus aus, … sogar zwei Sorten von Jung­fräulichkeit zu ent­jung­fern, männliche und weib­liche ‚un­durch­bohrte‘ Perlen, die extra dafür geschaffenen ḥūrīs und ġil­mān (oder wildān, die die Tradition mit den Söhnen der mušrikīn identi­fi ziert). Umgekehrt stellen sich einige Qarmaten [das himm­liche Leben] als passive Herm­aphrodi­ten vor, was sie für ‚über­legen‘ (afḍal) halten, weil es das Schicksal der ḥūrīs und ġilmān sei, … [177]

Darstellung imāmitischer Häresiographen

Heinz Halm hat für seine Arbeit Die islamische Gnosis [178] vor allem zwei imāmitische Häresiographen herangezogen: al-Ḥasan b. Mūsā an-Nau­baḫtī (gest. um 310/920) mit den Firaq aš-Šīʿa [179] sowie Saʿd b. ʿAbdallāh al-Qummī, der die hier zitierten Passagen in sein Kitāb al-maqālat wa-l-firaq[180] (verfaßt vor 292/905) über­nommen hat.

über­ die Ḫaṭṭābīya: „Eine Sekte von ihnen sagte, Ǧaʿfar b. Muḥammad sei Gott und Abu l-Ḫaṭṭāb ein Prophet und Gesandter, den Ǧaʿfar gesandt und dem zu gehorchen er befohlen habe. Sie erklärten alle verbotenen Dinge wie Unzucht, Sodomie (liwāṭ), Diebstahl und Weintrinken für erlaubt …[181] Ferner: „eine Sekte lehrte, … das (gött­liche) Licht war in Ǧaʿfar, dann ver­ließ es ihn und ging in Abu l-Ḫaṭṭāb ein, Ǧaʿfar aber wurde ein Engel; dann ver­ließ es Abu l-Ḫaṭṭāb und trat in Maʿmar ein, während Abu l-Ḫaṭṭāb zum Engel wurde; so war nun Maʿmar Gott. Der Sohn des Milch­händ­lers [Ibn al-Labbān] trat hervor und warb für Maʿmar und sagte: ‚Er ist Gott‘ und betete zu ihm und fastete. Er erklärte alle Begier­den, ob erlaubt oder ver­boten, für frei … Er sagte: ‚Gott hat dies doch nur für seine Geschöpfe er­schaf­fen; wie könnte es ver­boten seinö‘ Und er erklärte Unzucht, Dieb­stahl, Wein­trinken … und Geschlechts­ver­kehr unter Män­nern nikāḥ ar-riǧāl für erlaubt.[182]

Die ‚Verfünffacher‘ sagten: „Die ver­botenen Dinge – Hurerei, Wein­trinken, Dieb­stahl, Sodomie (liwāṭ) und alle schweren Sünden … – all dies bedeute [lediglich bestimmte] Männer und Frauen zu meiden und zu fliehen.[183] Weiter: „… sie verwarfen die Almosen­steuer, die Pilger­fahrt und die übrigen Pflichten und lehrten, die ver­botenen Dinge wie Frauen und Knaben (ġilmān) seien erlaubt. Als Ent­schuldigung dafür führten sie Gottes Wort [XLII 50] an: “… oder sie zu Paaren macht – männlichen und weiblichen.[184]

2. EINE ÜBER­LEBENDE GRUPPE: DIE NUSAIRĪ

Da alle über­lebenden Sekten Geheim­religionen geworden sind, ohne Mission und mit Endogamie­gebot, ist über­ die Yazīden, die Ahl-i Ḥaqq, selbst über­ die große Gruppe der türkischen Aleviten nicht viel Sicheres bekannt. Und dar­über­ die Religion der Nuṣairī[185] (etwa 1 Million, haupt­säch­lich in Syrien, kleine Gruppen im Libanon, im heute türki­schen Sanǧaq von Iskan­darūn, in Palästina und im ʿIrāq) wenig Neu­zeit­liches bekannt ist, ist es sinnvoll, wieder die imāmi­tischen Häresio­­­graphen heran­zu­ziehen; sie schrei­ben über­ den Aus­gangs­punkt (wenn auch nicht den Organi­sa­tor) der Sekte, über­ Muḥam­mad b. Nuṣair an-Numairī: „Er lehrte die Seelen­wanderung und die Über­treibung bezüglich der Per­son des Abu l-Ḥasan [ʿAlī al-Hādī al-ʿAskarī], schrieb ihm Gött­lich­keit zu, lehrte, daß die verbotenen Dinge erlaubt seien, und erklärte den Anal­ver­kehr unter Män­nern (nikāḥ ar-riǧāl) für erlaubt, denn er behaup­tete, dies sei ein Zeichen von Selbst­erniedrigung und Demüti­gung.[186]

Auch Ḥamza b. ʿAlī b. Aḥmad (gest. 410/1019), einer der Gründer der Drusen-Religion schreibt, die Nuṣairī hätten liwāṭ erlaubt.[187]

Im Lichte dieser Berichte kann angenommen werden, daß die Initiation, die jetzt eine sym­bolische Ver­mählung beinhaltet, in der ersten heißen Phase der Religion anders ablief. Über­ heutige Verhältnisse erfahren wir bei Halm:

[Das Ritual der Initia­tion] besteht aus zwei Haupt­teilen, die sieben oder neun Monate aus­ein­ander­liegen und schon mit dieser Zeit­spanne ihren Sinn ent­hüllen: sie ent­sprechen der Zeu­gung und der Geburt eines gnosti­schen Menschen.

Der äußere Rahmen … ist derselbe wie bei den übrigen Festen: eine Versammlung der Gemeinde im Haus eines Gast­gebers – auf den Dörfern wohl auch im Freien –, präsidiert von drei Scheichen: dem Imām, einem Naqīb und einem Naǧīb. Der Adept (tilmīḏ, wörtlich: Schüler) im Alter von acht­zehn bis zwanzig Jahren wird eingeführt von einer Art Paten, dem „Herren“ (sayyid) … diesem wird der Adept … regel­recht anvermählt (nikāḥ), genauer: die noch un­erleuch­tete Seele des Adepten wird mit der Seele… des bereits erleuchteten Paten vermählt und zeugt mit dieser eine neue erleuchtete Seele …

Die zweite große Zeremonie, die „Geburt“, … besteht im wesent­lichen aus der Ver­eidi­gung des Adep­ten, der sein Leben dafür zum Pfand setzt, daß er die Geheim­nisse der Lehre nicht ver­raten werde … Der Geburt folgt eine zwei­jährige Phase des „Stillens“ (raḍāʿ), d.h. der Unterweisung in die Lehre… [188]

NOTEN

[134] Teheran: Dār al-Kutub al-Islāmīya, S. 219–222.

[135] al-Qāhira: Wizārat al-Auqāf, 21958, S. 296.

[136] Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 348; Tabrīz, 1294/1877, ohne Zäh­lung (fol.148a–b).

[137] Ich über­setze bāliġ durchgehend mit ‚volljährig‘ , und nicht mit ‚reif/ mannbar‘ , obwohl nicht die Jahre, sondern der Körper entscheidend ist.

[138] Andere sehen die Tötung schon beim dritten Mal vor.

[139] Zainaddīn aš-Šahīd aṯ-Ṯānī al-ʿĀmilī, Šarh Šarāʾiʿ al-Islām, o.O., 1273/1856–57 (Stein­druck).

[140] Man beachte, daß die Ǧaʿfarīya modernen begrifflichen Grenzziehungen näher steht als die anderen Schulen: Sodomie schließt Analverkehr mit Frauen nicht ein, und Sodomie und Tribadie werden im gleichen Kapitel behandelt.

[141] Solange der „Ring der Beschneidung“ nicht im Körper des Objekts verschwunden ist, ist die rituelle Waschung nicht nötig.

[142] Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 349; Tabrīz, 1294/1877, fol. 148a.

[143] Als Drittes wäre leiden­schaft­liches Küssen ohne Koitus zu unter­scheiden – vgl. Punkt 16 des Muḫtaṣar-Kapitels.

[144] Bemerkens­wert, daß Prä- und Post­klas­siker Wider­sprüch­liches ungeklärt neben­einander stehen lassen können, und daß ʿĀmilī glaubt, Ḥillī korri­gieren zu müssen. Ḥillī schreibt nämlich in den Šarāʾiʿ nicht nur, daß bei tafḫīḏ Freier und Sklave gleich­gestellt sind, sondern auch Muslim und Ungläubiger. Dies, wendet Ḥillī ein, sei nur so, wenn der Muslim der fāʿil sei (dann werden sie beide ausgepeitscht); sei aber der Ungläubige der fāʿil, so werde er getötet. Dabei über­sieht ʿĀmilī zwei weitere Fälle, nämlich den, wenn beide Muslime oder wenn beide Ungläubige sind, und hier besteht kein Unter­schied zwischen den ‚Paaren‘.

[145] Fiqh al-Imām Ǧ aʿfar aṣ-Sādiq , Bairūt: Dār al-ʿIlm, 1966, VI S. 275–279.

[146] Iran AG: Vier Jahre Iranische Revolution, Berlin, 1981, S. 37f.

[147]Kia: Law of Hodoud and Qasas, Teheran: Pars Associates, 1983, S. 32–34.

[148] Tellenbach: Straf­gesetze der Islami­schen Republik Iran, Berlin: de Gruyter, 1996 (Samm­lung außer­deutscher Straf­gesetz­bücher in deutscher Übersetzung CVI), S. 12.

[149] Der Wirrwarr von Tellenbach ist mit­leids­erregend: hadd al-liwāṭ über­setzt sie mit „die hadd-Strafen wegen Homo­sexualität“, mit „die hadd-Strafe für H.“, und mit „die hadd-Straftat der H.“. In allen Sätzen, in denen es konkret wird, über­setzt sie liwāṭ nicht mit „Homo­sexualität“, sondern mit „homo­sexueller Verkehr“ (4x), „der homo­sexuelle Verkehr“ (1x), „ein homo­sexueller Verkehr“ (2x), sowie einmal mit „Teil­nehmer des homo­sexuellen Verkehrs“. Das einzige Mal, daß Tellenbach liwāṭ (außer in der Verbindung hadd al-liwāṭ) mit „Homo­sexu­alität“ über­setzt, kommt direkt nach der einzigen Stelle des Gesetzes, an der wirk­lich das persi­sche Wort für „homo­sexuel­les Verhalten“ (hamǧins-bāzī) steht, das sie mit „homo­sexuel­les Spiel“ über­setzt, was vermuten läßt, daß sie nicht erkannt hat, daß dieser Neologismus in Anlehnung an „Tanzknaben-Liebhaberei“ (bačče-bāzī) geprägt wurde, und nicht weiß, daß bāzī zu „Tun“ verblaßt ist. Übrigens findet sich diese Stelle im Abschnitt „Tribadie“, nicht im Abschnitt „hadd al-liwāṭ“.

Auch die Gegenprobe erweist die Wertlosigkeit der Tellenbach’schen Übersetzung: „homo­sexuellen Ver­kehr“ benutzt sie nicht nur für liwāṭ (Arsch­­ficken), sondern, beim Art. 112, auch für waṭʾ (Koitieren, Besteigen, Bespringen), was sie beim Art. 108 mit „geschlecht­licher Ver­kehr mit“ über­setzt.

Tellenbach faselt in der Einleitung von der „Aufhebung der Unter­scheidung von aktivem und passivem Part­ner [bei der weib­lichen Homo­sexualität]“. Hat sie nicht ver­stan­den, daß mit der Aktion (fiʿl) nicht irgend­eine Tat, son­dern genau „Einführen des Penis“ ge­meint ist, oder was will sie mit „Auf­he­bung“ sagen?

[150] Tellenbach schreibt statt „eines Männ­lichen“ (was geschlechts­unreife Knaben und puber­tierende Jüng­linge ein­schließt), „mit einem Mann.

[151] Teile in eckigen Klammern wurden 1991 eingefügt. – Nach der oben zitierten Definition al-ʿĀmilīs darf als un­problema­tisch gelten, daß der Gesetz­geber begrifflich 1981/82 anders vorging als 1991; der Sache nach ändert sich hierdurch nichts; deshalb die Ergänzung im über­nächsten Artikel.

Tellenbach über­setzt tafḫīḏ mit „beischlafähnliche Hand­lungen“, was in der deutschen Rechts­sprechung pedicatio um­faßt – denn dieser ist dem eigentlichen (vaginalen) Beischlaf ja recht ähnlich –, was aber tafḫīḏ gerade nicht ist. 1985 hatte die selbe Autorin es mit „petting“ wiedergegeben. (Gutachten des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Inter­nationales Straf­recht vom 13.11.1985)

[152] Der Satz über­ die Tötungsart wurde 1982 eingefügt.

[153] Der zweite Satz fiel 1982 weg.

[154] Dieser Para­graph erweist, daß die ‚vor­nehme‘ Erset­zung des transiti­ven „jeman­den ficken“ durch „Geschlechts­ver­kehr haben mit je­mandem“ (oder gar „homo­sexuellen Ver­kehr haben mit“) nicht eine Frage des Stils ist, son­dern eine der Richtig­keit. Nach beiden pub­lizier­ten deutschen Übersetzungen würde ein Min­der­jähri­ger, der einen andern Min­der­jäh­ri­gen fickt, gezüchtigt (§ 143/4/113), fickte er aber einen Er­wachse­nen, so würde er getötet: „142 Wenn ein er­wachse­ner und geistig gesun­der Mann mit einer min­der­jährigen (männ­lichen) Per­son Geschlechts­ver­kehr hat, so soll der aktive Partner getötet werden …“ bzw. „Art. 112 Hat ein Mann, der mündig und geistig gesund ist, mit einem Un­mün­di­gen homo­sexuel­len Ver­kehr, so wird … der passive Teilnehmer … mit einer taʿzīr-Strafe … bestraft.“ Im per­si­schen Original verkehren nicht zwei miteinander, sondern der Voll­jährige fickt den Min­der­jähri­gen. In der Fas­sung der Iran AG muß man sich aber denken, daß „der aktive Part­ner“ der Voll­jähri­ge ist, und bei Tellen­bach muß man sich denken, daß „der passive Teil­nehmer“ der Minderjährige ist.

[155] Wieso nur die Voll­jährigkeit des Aktiven? Fehlt bei Kia.

[156] In der Fassung der ersten Lesung fehlt der Hinweis darauf, daß das Geständnis nur für den Geständigen gilt (für den ‚Partner‘ ist es nur eine – von vier nötigen – Zeugen­aussagen).

[157] Kia über­setzt „derived from rational methods“, die Iran AG „auf der Basis logi­scher Über­legungen“.

[158] In Deutsch­land können iranische Homo­sexuelle Asyl bekommen, weil am 15.3.88 das Bundes­verwaltungs­gericht (9 C 278/86) – wie schon der Hessische Ver­waltungs­gerichts­hof (10 OE 69/83) – einem Gut­achten von Tellenbach folgte, dem gemäß diese Bestimmung in der Islamischen Republik als Novum „eingeführt worden“ sei. Dabei kann es seit 1872 auch ein orienta­lischen Sprachen Unkun­di­ger besser wissen; in Droit musulman, Recueil de lois concernant des musul­mans schyites schreibt Amédée Querry: « Le magistrat peut, de sa propre autorité, con­damner tout individu qu’il sait coupable de sodomie. Selon toute évidence, ce droit est accordé à tout magistrat, imâm ou autre. » (II S. 497) So steht es schon bei Ḥillī (Teheran: al-Ḥāǧǧ Ibrāhīm, 1300/1883, S. 348) und Muhammad Ǧawād Muġnīya geht in Fiqh al-Imām Ǧaʿfar aṣ-Sādiq ausführ­lich darauf ein (VI 276f.).

[159] Die Berliner Übersetzung lautet: „Wenn die homo­sexuellen Handlungen [sic] nicht zum Eindringen des Gliedes führten, sondern im Reiben der [sic] Schenkel und der Hintern bestanden, so …“ Dazu ist zu bemerken: nicht die Schenkel werden gerieben, sondern das Glied zwischen denselben.

[160] Kia hat „without lust“ – wohl ein Übersetzungsfehler.

[161] 1982 war das nur ein Artikel. Deshalb ab 165 nur noch zwei Nummern: 1981 und 1982 haben dieselbe.

[162] Encyclopédie de l’Islam V S. 783. Übrigens gibt Pellat seine Quelle nicht an; es dürfte sich um die von ihm zuvor erwähnte Nihāyat al-arab von an-Nuwairi, wo II S. 207 steht: wa-ammā maḏhab Ibn Ḥazm az-Ẓāhirī fa-innahū lā yadribu fi l-liwāṭ fauqa 10 aswāṭ.

[163] Ṭauq al-hamāma, Hg. Blachère, Alger, 1949, S. 366; Über­s., S. 367.

[164] Sahīh, al-Qāhira, 1955, III 1332, 1333

[165] Übrigens hat nicht Buḫārī, sondern Muslim den Spruch in der von Ibn Ḥazm zitierten Form. Buḫārī hat – wie at-Tirmiḏī, Ibn Māǧa und Abū Dāūd –ǧaladāt statt aswāṭ, Muslim hat nur vier Glieder mit den andern gemein; diesen sind sechs gemeinsam.

[166] W. Heff ening taʿzīr in Enzylopaedie des Islam, Leipzig, 1935, IV S. 769.

[167] Tahḏīb al-āṯār, Musnad ʿAbdallāh Ibn ʿAbbās, al-Qāhira, 1982, S. 551–558.

[168] al-Muhallā, bāb 2299; Miṣr: al-Munīrīya, X, 1347/1953, S. 380ff.; Miṣr: Maṭbaʿat al-Imām [1964], XI S. 460ff.

[169] R. Strothmann („Das Problem der literarischen Per­sönlich­keit Zaid b. ʿAlī“ in Der Islam XIII, 1923, S. 18ff.) hält Abū Ḫālid al-Wāsiṭī (spätes achtes Jahrhundert) für den Autor. Dagegen Sezgin in GAS I, Leiden, 1967, S. 552ff.

[170] Hg. Eugenio Griffini: Corpus Iuris, Milano: Ulrico Hoepli, 1919, Nr 543.

[171] ebenda, Nr 813

[172] al-Mahdī Ibn al-Murtadā: al-Ġaiṯ al-midrār al-mufattih li-Kamāʾim al-azhār fī fiqh al-aʾimma al-aṭhār zusammen mit dem Kommentar des Ibn Miftāh, Kitāb al-muntazaʿ, al-Qāhira, 1341–42/1922–23, IV S. 336.

[173] al-Mahdī Ibn al-Murtadā: Kitāb al-bahr az-zaḫḫār zusammen mit dem Kommentar des Ibn Bahrān, Kitāb ǧawāhir al-aḫbār wa-l-āṯār, V, al-Qāhira: Maṭbaʿat as-Saʿāda, 1368/1949, S. 143f.

[174] Kitāb al-iqtiṣār, Hg. Muhammad Wahīd Mīrzā, Dimašq, 1957, S. 145.

[175] Adam Mez, a.a.O., S. 291; vgl. Martin Mordechai Zvi Steiner: „Zur Geschichte der theologischen Bewegungen im Islam“ in ZDMG LII, 1898, S. 472; Ibn al-Aṯīr: Kāmil für das Jahr 322h. (z.B. Bairūt: Dār Sādir & Dār Bairūt, 1386/1966, VIII S. 294).

[176] La passion d’al Hosayn.., Paris, 1922, S. 798 n. 1, S. 778 n. 1 = La passion de Husayn …, Paris, 1975, III S. 254, nn. 1, 5.

[177] ebenda, 1922, S. 690; 1975, S. 177.

[178] Zürich: Artemis, 1982.

[179] Hg. Helmut Ritter: Die Sekten der Schīʿa, İstanbul, 1931 (Bibliotheca Islamica IV).

[180] Tehran: Atai, 1963.

[181] Qummī, S. 51; Über­s. Halm, S. 203.

[182] Qummī, S. 53; entspr. Nau­baḫtī, S. 39; Halm, S. 209.

[183] Qummī, S. 57; Über­s. Halm, S. 221. Inhalt der eckigen Klammer von Halm.

[184] Qummī, S. 92; entspr. Nau­baḫtī, S. 71; Halm, S. 236.

[185] Sowohl „Nuṣairī“ wie „Alawiten“ sind Fremd­bezeichnungen; erste hat aber den Vor­teil, weder für die derzeitige marok­ka­nische Herrscher­dynastie, noch diverse turuq dieses Namens, noch für die – mit den Nuṣairī oft in einen Topf geworfenen – türki­schen Bektaşiten verwendet zu werden.

[186] Qummī, S. 100; entspr. Nau­baḫtī, S. 78; Halm, S. 282.

[187] Baron Silvestre de Sacy: Exposé de la réligion des druzes, tiré des livre réligieux de cette secte, II, Paris: Impr. Royale, 1838, S. 570.

[188] Heinz Halm, Die islamische Gnosis, Zürich: Artemis, 1982, S. 303f.

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